Donnerstag, 14. Mai 2015

Im Dienst der Jugendsozialarbeit, Grußwort bei der akademischen Feier von Karl Hugo Breuer


Karl Hugo Breuer

Im Dienst der Jugendsozialarbeit
Grußwort bei der akademischen Feier
 aus Anlass des Ausscheidens
von Professor Dr. Manfred Hermanns aus dem öffentlichen Dienst

Wenn ein verdienter Hochschullehrer Abschied von seinem Lehrauftrag und seiner Hochschule nimmt, kommt es sicher zuvörderst dieser Hochschule zu, ihm für das zu danken, was er in den Jahren seiner in Lehre, Forschung und im Leben der Hochschule geleistet hat. Wieso mischt sich auch die Jugendsozialarbeit, dieses von seinen sozialpädagogischen Angeboten für benachteiligte und beeinträchtigte Jugendliche den Bereich der Bildung zwar stark tangierende, aber von seiner Verortung im Sozialgesetzbuch doch eher dem Bereich des Sozialen zuzuordnende Handlungsfeld, in das Konzert dankbarer Stimmen ein? Sie tut es deshalb, weil sich dieser Professor Manfred Hermanns wie kaum ein anderer Hochschullehrer auch im Feld der Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe engagiert hat, und das in einem Maße und in einem Umfang, die weit über das hinausgehen, was man in aller Regel von einem Vertreter angewandter Wissenschaften an Praxisbezug erwarten kann und darf. Und er hat nicht nur über Jahrzehnte mit Einrichtungen und Fachkräften, mit Trägern und Trägergruppen der Jugendsozialarbeit Kontakt gehalten und sie beraten, angeregt und gefördert - schon dafür können wir ihm nicht dankbar genug sein -, er hat vielmehr durch eine Fülle wissenschaftlich fundierter Beiträge der Jugendsozialarbeit wichtige Anstöße, dankenswerte Hilfen zu ihrer Fundierung und nicht zuletzt kritisch klärende Hinweise und Anregungen zu ihrer Weiterentwicklung vermittelt. Und er hat das nicht nur als Nebenbeschäftigung oder Hobby neben seinem Beruf als Hochschullehrer der Soziologie getan, sondern in einer Verschränkung von Wissenschaft und gesellschaftlicher Wirklichkeit im Feld „Jugend und Beruf“, in einer Zusammenführung von Praxis und Theorie, mit der er beide bereichert und gefördert hat. 

Lassen Sie mich, lieber Herr Hermanns, in diesem Zusammenhang erinnern, dass Sie in den Jahren 1976 - 1979 nicht nur eine der frühesten wissenschaftlichen Begleitungen einer Modellmaßnahme des damaligen Bundesjugendplanes für lernschwache, berufsunreife und arbeitslose Jugendliche und Berufsanfänger übernommen haben, sondern diese zugleich zum Anlass für die Ausarbeitung einer programmatischen „Aktionsforschung zur Jugendberufshilfe“ genutzt haben. Für Träger und Fachkräfte, zugleich für Trägergruppen und Jugendbehörden sowie für Lehrende und Studenten der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik haben Sie damit einen methodischen Bezugsrahmen von Aktionsforschung erstellt und eine detaillierte Einführung in die Verfahrensweisen einer Verbindung praktischer Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe und empirischer Sozialwissenschaft gegeben, die von vielen späteren Modellprojekten und ihren Begleitern dankbar genutzt worden sind.

Lassen Sie mich weiterhin erinnern an Ihre wenige Jahre später, 1983 erschienene instruktive Studie „Jugendarbeitslosigkeit - Wirkungen eines sozialen und politischen Problems in verschiedenen Epochen dieses Jahrhunderts“, mit der Sie das Engagement der Jugendsozialarbeit in diesem Bereich unterstützt, gefördert und vertieft, ganz besonders aber auch die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen in der Jugendpolitik und weit über sie hinaus für die fatalen Folgen von Jugendarbeitslosigkeit geweckt und geschärft haben. Aus dieser 72-seitigen Studie, die wir im Rahmen der „Arbeitshilfen zur Jugendsozialarbeit“ veröffentlichen durften, ist dann später - 1990 - Ihre bei Leske & Budrich in Opladen erschienenes Buch „Jugendarbeitslosigkeit seit der Weimarer Republik“ hervorgegangen - eine der gründlichsten, originellsten und eindrucksvollsten Studien zu einer Thematik, deren Aktualität im letzten Jahrzehnt noch gravierend zugenommen hat. 

Dabei ist mit Nachdruck daran zu erinnern, dass Sie die Thematik der Jugendarbeitslosigkeit nie nur im jeweils aktuellen arbeitsmarktpolitischen Kontext gesehen und behandelt haben, sondern immer im Zusammenhang mit der für die Sozialisation und Personalisation des jungen Menschen grundlegend wichtigen Bedeutung von Arbeit und Beruf in der modernen Gesellschaft. In zahlreichen Aufsätzen haben Sie eindringlich auf Wert und Sinn der Arbeit und auf die Bedeutung der Arbeit gerade für junge Menschen, ihre Verselbständigung und Selbstfindung und für ihre Integration in die Gesellschaft, hingewiesen.

1989 haben Sie uns mit einer ersten Untersuchung der „Jugendberufshilfe und Jugendsozialarbeit in der Weimarer Republik“ überrascht, in der Sie die bisher wenig beachteten, aber durchaus beachtenswerten Ansätze und Formen, Erfahrungen und Ergebnisse von Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe in der Zeit der Weimarer Republik vorgestellt und neu ins Bewusstsein gehoben haben; zugleich haben Sie damit ein auch für uns Heutige lehrreiches Kapitel deutscher Jugend- und Berufshilfe historisch aufgearbeitet. 

Lassen Sie mich an die ebenso bewundernswerte wie für uns alle unentbehrliche erste umfassende und systematisch strukturierte „Bibliographie zur Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe 1900 - 1995“ erinnern, die Sie uns 1996 geschenkt haben und in der Sie rd. 1500 Titel aus der Buch- und Zeitschriftenliteratur zusammengetragen haben - eine Arbeitshilfe, deren Vervollständigung und Weiterführung bis zum Jahre 2000 wir uns alle wünschen.

Und lassen Sie mich last not least auf die Folge brillanter Rezensionen hinweisen, die Sie in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im „Jahrbuch für Jugendsozialarbeit“, aber auch an anderer Stelle, nicht nur zu Veröffentlichungen aus den Bereichen Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe, sondern weit darüber hinaus zu Neuerscheinungen aus dem Gesamtbereich Wirtschaft und Gesellschaft publiziert haben. Sie haben bedeutsame und weiterführende Literatur sorgfältig ausgewählt, sich auch schwierigen und zeitaufwendigen Besprechungsaufträgen nicht entzogen. Sie haben kritisch konstruktive und zugleich lesbare, ja zum Lesen einladende, von vielen Lesern mit Spannung erwartete Rezensionen geschrieben, und Sie haben damit Ihren Lesern Maßstäbe zur Bewertung von sozialwissenschaftlich relevanter Literatur an die Hand gegeben.

Meine Damen und Herren, woher nimmt ein Manfred Hermanns die Kraft für ein solches zusätzliches, seine - sehr ernst genommene - Tätigkeit als Hochschullehrer weit übersteigendes Engagement? Für uns in der Jugendsozialarbeit ist das keine Frage biographischer Neugier, für uns ist das eine Lebensfrage: unsere Arbeit für und mit jungen Menschen im Übergangsfeld Schule und Beruf, in der Hilfe zum Beruf, im Beruf und zum beruflichen Aufstieg bzw. Umstieg, insbesondere in der Hilfe für Benachteiligte und Beeinträchtigte, für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte, diese sehr anspruchsvolle Arbeit ist auf Wissenschaftler, die sie begleiten und beraten, die sie auswerten, die sie, wo nötig, auch korrigieren, lebensnotwendig angewiesen, wenn sie nicht in Routine erstarren und hinter den Anforderungen einer im ständigen Wandel befindlichen sozialen Wirklichkeit zurückbleiben will. Zwar ist mir wohl bewusst, dass ich die Frage nach den Quellen der Kraft des Manfred Hermanns auch nicht annähernd beantworten kann. Als er fünfzig Jahre alt wurde, hat er in der letzten Strophe eines hundertstrophigen Gedichtes, in dem er eine Bilanz seiner fünf ersten Lebensjahrzehnte zog, geschrieben:

„Diese Personalität ist Einmaligkeit und bleibt auch ein Stück Rätselhaftigkeit.“

200 Jahre vor ihm schrieb - im September 1780 - der junge Goethe an Freund Lavater in Zürich: 

„Hab ich Dir das Wort , Individuum est ineffabile‘,
woraus ich eine Welt ableite, schon geschrieben?“

Aus der Goethe-Forschung wissen wir, dass dieses Wort „Individuum es ineffabile“, das Individuum ist unaussprechlich, unbeschreiblich, das man als eines der Leitworte der kulturell so fruchtbaren „Sturm und Drang“-Epoche bezeichnen kann und dessen Nachwirkung bis heute festzustellen ist, ein Merksatz thomistischer Philosophie des Mittelalters war - verschlungene Wege der Geschichte des Geistes, wie sie unseren Jubilar immer fasziniert haben.

Wie aber könnte man sich dem „Ineffabile“ des Menschen und Wissenschaftlers und Praxisberaters Manfred Hermanns wenigstens anzunähern versuchen? Da mir die quellenmäßigen Voraussetzungen für eine solche Annäherung  mit den Mitteln der Historiographie oder der Psychologie oder der Soziologie fehlen, bleibt mir nur der Weg vorwissen-schaftlichen Herangehens, und den möchte ich mit Goethes „Urworten. Orphisch“  versuchen. Orpheus - das ist ja eine Gestalt griechischer Mythologie, in der das Amt des Sängers noch nicht von dem des Priesters und des Weisen, die Dichtung noch nicht von der Mythologie, der Mythos nocht nicht vom Logos getrennt war. An die orphischen Geheim-lehren knüpfte Goethe in den fünf Strophen seiner „Urworte. Orphisch“ an, um Zugänge zu dem Einmaligen, zu dem Charakteristischen eines Menschen zu finden, um Unsagbares, Unbeschreibliches andeuten zu können.

Das Erste dieser Urworte, „Dämon“ überschrieben, kommt uns gleich ernst und eindringlich und unvergesslich wie das Hauptmotiv aus Beethovens 5. Symphonie, der „Schicksalssymphonie“ entgegen:

Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen, 
So sagten schon Sibyllen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“

Mit dem Stand der Sonne und der Planeten ist keine astronomische Konstellation angesprochen, kein astrologisches Geheimwissen gemeint; dieses Bild steht vielmehr - nach Goethes eigenem Wort in einer Erläuterung der „Urworte. Orphisch“ - für „die notwendige, bei der Geburt unmittelbar ausgesprochene, begrenzte Individualität der Person, das Charakteristische, wodurch sich der Einzelne von jedem anderen bei noch so großer Ähnlichkeit unterscheidet.“

Lieber Herr Hermanns, neben Ihrer bewundernswerten Zuverlässigkeit und Präzision bei der Erfüllung von Ihnen übernommener Aufträge scheint mir vor allem Ihre Offenheit, getrieben von einer nimmermüden Neugier, eine Gabe Ihres Dämons zu sein. Das wird schon sichtbar in der Fakultäten übergreifenden Wahl Ihrer Studienfächer: Philosophie und Theologie, Geographie und Geschichte, Soziologie und Sozialwissenschaften, und das hat Sie Ihr Leben lang - bei aller notwendigen Spezialisierung - zu einem Generalisten gemacht und vor der Beschränktheit bloßen Spezialistentums bewahrt. Ob Sie ohne diese Offenheit und Neugier jemals den Weg zur Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe und den ihr aufgegebenen jungen Menschen gefunden hätten?

Das Zweite der „Urworte. Orphisch“, „Das Zufällige“ überschrieben, meint nicht nur den Zufall, den wir im Alltag so oft und schnell bemühen, sondern vor allem das, was uns im Leben zu-fällt, was uns in der Begegnung mit Menschen „bildet“ und „entzündet“:

„Die strenge Grenze doch umgeht gefällig
Ein Wandelndes, das mit und um uns wandelt;
Nicht einsam bleibst du, bildest dich gesellig
Und handelst wohl so, wie ein andrer handelt:
Im Leben ist‘s bald hin-, bald widerfällig,
Es ist ein Trend und wird so durchgetandelt.
Schon hat sich still der Jahre Kreis geründet:
Die Lampe harrt der Flamme, die entzündet.“

Was wäre aus Manfred Hermanns ohne die Begegnung mit Romano Guardini, ohne sein lebenslanges Mitwirken im Bund Neudeutschland geworden, was ohne das Studium bei Theologen und Philosophen wie Werner Schöllgen, Hermann Volk, Josef Pieper, was ohne den nicht nur weitgereisten und welterfahrenen, sondern auch die Ökologie entdeckenden Geographen Carl Troll, was ohne den - von der Soziologie der Arbeit und des Berufes, der Familie und der Jugend herkommenden - soziologischen Lehrer Helmut Schelsky, und was ohne den akademischen Lehrer, der „ihn am meisten fasziniert“ hat: Joseph Höffner, den Sozialwissenschaftler und späteren Bischof von Münster und Erzbischof von Köln, dem er 1996 eine liebevolle biographische Skizze - hoffentlich Urzelle einer späteren umfassenden Biographie - gewidmet hat? Wie wären Weg und Leben dieses Manfred Hermanns ohne Ludwig Neundörfer und die Arbeit an dessen Soziographischen Institut, wo ihm die „Fundamente der Sozialpolitik“ vermittelt wurden, verlaufen,  wie ohne die Betroffenheit durch das Werk von Karl Marx und die Auseinandersetzung mit ihm und seinen späteren Nachfolgern in Frankfurt der sechziger Jahre, wie ohne die Begegnung mit dem Werk von Karl Popper und Hans Albert? Was wäre aus ihm geworden ohne die Mitarbeit im Bensberger Kreis, was ohne die Erfahrungen, Widerfahrnisse und Verletzungen der Paderborner Zeit und ihre Folgen? Und auch hier die Frage: Hätte er ohne dieses „Zufällig“, ohne diese ihm zu-gefallenen Begegnungen, Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen jemals den Weg zur Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe gefunden?

„Eros, Liebe“ ist das Dritte von Goethes „Urworten. Orphisch“ überschrieben:
„Die bleibt nicht aus! Er stürzt vom Himmel nieder,
Wohin er sich aus alter Öde schwang,
Er schwebt heran auf luftigem Gefieder
Um Stirn und Brust den Frühlingstag entlang,
Scheint jetzt zu fliehn, vom Fliehen kehrt er wieder,
Da wird ein Wohl im Weh, so süß und bang.
Gar manches Herz verschwebt im Allgemeinen,
Doch widmet sich das Edelste dem Einen.“

Eros - das ist in den orphischen Geheimlehren nicht der verspielte, nicht der erotischem Genuss nachjagende Liebesgott, wie wir ihn aus so manchem Bild, manchem Gedicht kennen. Eros - das ist eine kosmische Urmacht, die auf das Chaos, die „alte Öde“ folgt. Eros ist als Zeugungskraft ein Element der Weltentstehung. Er ist es, der den Menschen den Zugang öffnet zu Mitmensch, Welt und Gott, und nach Plato auch zum Guten, Wahren und Schönen, der Antrieb für das philosophische Erkenntnisstreben, für den Aufschwung in die Welt der Ideen. Eros - er ist es, der den Menschen - um wiederum eine Goethesche Unterscheidung zu nutzen - in seinem Verhältnis zu dem, was über ihm ist, zu dem, was neben ihm ist, und zu dem, was unter ihm ist, bewegt und antreibt. 

Und wiederum die Frage: Was wäre aus diesem Manfred Hermanns ohne diese bewegende und antreibende Urkraft geworden? und: Hätte er je den Weg zur Jugendsozialarbeit, zur Arbeit mit benachteiligten jungen Menschen, zu den jungen Menschen oft aus den untersten sozialen Schichten gefunden?

„Nötigung“ ist uns Heutigen als ein Begriff aus der Sprache des Rechts geläufig: jemand mit Druck, Drohung, Gewalt dazu bestimmen, etwas zu tun oder nicht zu tun. Goethe, der das Vierte der „Urworte. Orphisch“ mit „Nötigung“ überschrieb, hat diesen Begriff, einen der Hauptbegriffe seines Denkens viel weiter verstanden:

„Da ist‘s denn wieder, wie die Sterne wollten:
Bedingung und Gesetz; und aller Wille
Ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten, 
Und vor dem Willen schweigt die Willkür stille;
Das Liebste wird vom Herzen weggescholten,
Dem harten Muß bequemt sich Will‘ und Grille.
So sind wir scheinfrei denn nach manchen Jahren
Nur enger dran, als wir am Anfang waren.“ 

Nötigung im Sinne Goethes, das, was unser Leben bedingt, begrenzt, beschränkt, hat durchaus zwei Aspekte: die Erfahrung einer Einengung, der wir uns nicht entziehen können, zugleich aber auch Bedingung und Beschränkung, damit wir dem gerecht werden, was „die Sterne wollten“. Und so heißt es an andrer Stelle:

„In der Beschränkung zeigt sich auch der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“

Es war kein leichter Weg, es war ein hartes Muss für Manfred Hermanns, der Weg von der herrlichen Offenheit des Studenten und Akademiedozenten zur Beschränkung auf die Bereiche Sozialwissenschaften, insbesondere Soziologie. Und doch - müssen wir nicht alle dankbar sein, die - gewollt oder ungewollt - daran mitgewirkt haben? Hätte er sonst, so fragen wir uns, den Weg zur sozialen Arbeit und erst recht den Weg zu dem speziellen Feld der Jugendsozialarbeit gefunden?

Nachdem  das Vierte der Urworte schon zu dem Ersten zurückgeführt hatte und der Kreis gerundet erscheint, bringt Goethe überraschend noch ein letzte, fünftes Urwort ein: Hoffnung

„Doch, solcher Grenze, solcher eh‘rnen Mauer 
Höchst widerwärt‘ge Pforte wird entriegelt, 
Sie stehe nur mit alter Felsendauer!
Ein Wesen regt sich leicht ungezügelt:
Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer
Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflügelt;
Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt durch alle Zonen -
Ein Flügelschlag - und hinter uns Äonen.“

Wo mag sie Manfred Hermanns zuerst begegnet sein, die Hoffnung, die „uns leben hilft“? Im Katechismus seiner Kinderjahre, der die Hoffnung mit Glauben und Liebe zu den „gött-lichen Tugenden“ zählt? Bei seinem philosophischen Lehrer Josef Pieper, der uns in der Bedrängnis der NS-Zeit 1935 eine Studie über die Hoffnung an die Hand gab, die er als „die einzige Antwort, die der wirklichen Existenzsituation des Menschen entspricht“, beschrieb und die er einer dem Menschen nicht angemessenen Besitz-Gewissheit, aber ebenso auch einer die wirkliche Lage des Menschen verfehlenden Verzweiflung entgegensetzte? Bei Ernst Bloch und seinem monumentalen, aus undogmatischer marxistischer Sicht 1938 - 1947 geschriebenen, 1956 - 1959 veröffentlichten Werk über das Prinzip Hoffnung?

Wo immer es auch gewesen sein mag - diese Hoffnung war es, die Manfred Hermanns durch sein ganzes Leben getragen hat, auch und gerade dann, wenn er - mit dem Wort des Psalmisten - „in valle tenebrosa“, „im finsteren Tal“ oder - wie Guardini übersetzt - „in dunkler Schlucht“ wandern musste.

Diese Hoffnung, die Sie gerade auch in Zeiten tiefer Enttäuschung und großen Leids getragen hat, auch anderen, die durch dunkles Tal wandern müssen, zu vermitteln, sind Sie nie müde geworden. Gerade auch im Blick auf die ihrer Hoffnungen oft schon so früh beraubten jungen Menschen ohne Arbeit, ohne Beruf, ohne Perspektiven.

Bei Leonardo da Vinci, der ja nicht nur einer der grössten Künstler und Wissenschaftler, sondern auch einer der ganz großen Aphoristiker der Weltliteratur mit einer an die Vorsokratiker gemahnenden Tiefe war, heißt es einmal: „Nicht wer anfängt, sondern wer da ausharrt“. Die Hoffnung, lieber Herr Hermanns, hat ihnen immer wieder die Kraft geschenkt, auszuharren, durchzuhalten in Ihrem Einsatz für das als richtig Erkannte und in Ihrem Einsatz für Menschen an der Schattenseite der Gesellschaft.

Nun liegt eine neue Phase Ihres Lebens vor Ihnen. Ihr Dämon, aber auch das Zufällige, Ihr Eros, aber auch die Nötigung, und über allem die Hoffnung werden den Menschen, den Christen, den Wissenschaftler, den vielfältig Engagierten auch weiterhin führen und geleiten. Das ist unser herzlicher Wunsch für die Zeit, die vor Ihnen liegt.

Den Dank, den wir Ihnen schulden, möchten wir in zwei Sprüchen des alten Goethe andeuten, die Ihnen auf den Leib geschrieben sein könnten:

Der erste Spruch:

„Weite Welt und breites Leben,
Langer Jahre redlich Streben,
Stets geforscht und stets gegründet,
Ältestes bewahrt mit Treue,
Freundlich aufgefasstes Neue,
Heitern Sinn und reine Zwecke:
Nun! man kommt wohl eine Strecke.“

Und der zweite Spruch:

„Hätte Gott mich anders gewollt,
So hätt‘ er mich anders gebaut;
Da er mir aber Talent gezollt,
Hat er mir viel vertraut.
Ich brauch‘ es zur Rechten und Linken,
Weiß nicht, was daraus kommt;
Wenn‘s nicht mehr frommt,
Wird er schon winken:“ 

Freitag, 1. Mai 2015

Der Sozialethiker Wilhelm Weber in einer Zeit des Umbruchs


Wilhelm Webers Wirken fiel weltpolitisch in die Zeit des Kalten Krieges. Obwohl seit 1966 ein Prozeß der Entspannung einsetzte, ging die weltanschauliche Auseinandersetzung zwischen der liberalen westlichen und der sozialistischen östlichen Welt unvermindert weiter. Innenpolitisch war es die Zeit des Umbruchs von der Nachkriegszeit, die unter dem Zeichen des Wiederaufbaus unter Konrad Adenauer gestanden hatte, zur sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und Helmut Schmidt. Der Einfluß der Katholischen Soziallehre in Gesellschaft und Staat war deutlich zurückgegangen. Diese wurde auch nicht mehr von einem geschlossenen katholischen Milieu getragen. Insbesondere große Teile der jungen Generation brachen aus dem sicher geglaubten Gefüge politischer und gesellschaftlicher Traditionen aus. Diese tiefgreifenden Wandlungen vollzogen sich besonders vehement an den Hochschulen. Emanzipation und Demokratisierung wurden zu dominanten Leitbildern in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. 
Diese anfangs eher liberalen Bestrebungen verbanden sich in Deutschland, vielen Ländern Westeuropas und Lateinamerikas zunehmend mit sozialistischem Gedankengut, so daß auch ursprüngliche Befürworter der neuen Bewegung mit der Zeit von dieser abrückten. Auch die Theologie der Befreiung entsprang anfänglich emanzipatorischen Bedürfnissen unterdrückter Völker und nahm dann immer mehr marxistisches Gedankengut auf. Fatal wirkte sich aus, daß viele Theologen, die sich für die Armen ihrer Länder einsetzen wollten, die empirische Soziologie überhaupt nicht kannten. So meinten sie, marxistische Gesellschaftsanalyse wäre die einzig brauchbare zur Erfassung und Kennzeichnung der in ihren Ländern vorfindbaren gesellschaftlichen Verhältnisse. Dazu wurde von marxistisch-leninistischer Seite alles unternommen, um empirisch-analytische Soziologie als „bürgerlich“ zu diffamieren. Marxistische Bewegungen in Lateinamerika wurden finanziell und ideell massiv von der Supermacht Sowjetunion unterstützt.
Das ist der politisch-ideologische Hintergrund, auf dem Wilhelm Webers Arbeiten zu interpretieren und zu würdigen sind. Sicher war der bodenständige Sauerländer Weber kein Freund von politischen Bewegungen, hatte er sich doch schon in seiner Jugend ablehnend gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung verhalten. Aber er hätte  sich  mit   der  Emanzipationsbewegung  eher  anfreunden können, wenn sie in gemäßigt liberalen Bahnen geblieben wäre. Denn wie seine Vorgänger auf dem Lehrstuhl in Münster hatte er seinen Frieden mit dem politischen und wirtschaftlichen Liberalismus geschlossen, wenn er auch einen ungezügelten Wettbewerb ablehnte und das ordnende Handeln des Menschen als wirtschaftliches Subjekt hervorhob. Wie sein Vorgänger Höffner stand er auf dem Boden des Ordoliberalismus, mag er auch stärker als dieser die Gemeinwohlgerechtigkeit eingefordert haben. Weber sprach sich mitunter für einen dritten Weg aus, der für ihn aber ohne Zweifel näher beim Liberalismus als beim Sozialismus lag. Als kompetenter Wirtschaftswissenschaftler erkannte er deutlich die utopischen Elemente sozialistischer Zukunftsträume. Er wußte auch, daß unrealistische Politikambitionen von ideologischen Weltverbesserern in Gewalt und Unterdrückung umschlagen mußten. Weber erkannte derartige Gefahren in der Zeit des Kalten Krieges nicht allein für sein eigenes Land, sondern auch für den südamerikanischen Kontinent. Man muß sich in Erinnerung rufen, daß von Kuba aus über die „Unidad Popular“ Salvador Allendes in Chile und die sandinistische Regierung Nicaraguas der sozialistische Siegeszug angetreten werden sollte. Webers entschiedener Kampf gegen die marxistisch inspirierte und unterwanderte „Theologie der Befreiung“ ist auf diesem Hintergrund eines weltpolitischen Konfliktes zu sehen, dessen sich seine Zuhörer nicht immer bewußt waren, meinten sie doch oft idealistisch, sich für Gerechtigkeit in der Welt und gegen Armut und Ausbeutung einzusetzen, ohne aber die freiheitsbedrohende Macht des Sozialismus zu erkennen. Weber hatte jedoch das ganze Ausmaß zweier antagonistischer politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und weltanschaulicher Systeme vor Augen. 
Weber war kein Stubengelehrter, den die Geschicke dieser Welt nichts angingen. Im Gegensatz zu den voreingenommenen Gegnern der Katholischen Soziallehre, die sich jetzt auch im Bereich der Theologie, nämlich einer „politischen Theologie“ einfanden, setzte er auf die weltgestaltende Kraft einer Soziallehre aus dem Glauben. Er stand voll in den Spuren seiner Vorgänger, die immer bestrebt waren, die Christliche Soziallehre in den Dienst einer gemeinwohlorientierten Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu stellen. 
Weber wußte wie seine Vorgänger, daß politische Praxis aus der christlichen Perspektive nicht allein mit Theologie zu beeinflussen ist, sondern daß es dazu der modernen Kultur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bedarf. So hat er die Sozial- und Wirtschaftsethik mit den empirischen und analytischen Wissenschaften angereichert. Er war sich der Wandelbarkeit aller gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse bewußt. Seine hervorragende wirtschaftswissenschaftliche Qualifikation wurde auch von seinen Gegnern nicht in Frage gestellt, aber er wurde verdächtigt, ein Gegner der Soziologie zu sein. Dabei haben sie wichtige Differenzierungen nicht wahrgenommen. Weber hatte sich nicht nur umfassende Kenntnisse der allgemeinen soziologischen Theorie, der Familien-, Arbeits- und Berufssoziologie, der Wirtschafts- und Betriebssoziologie, der Religions- und Kirchensoziologie angeeignet, sondern diese auch in seine Sozial- und Wirtschaftsethik, in die Sozial- und Familienpolitik sowie Wirtschaftspolitik eingebaut. Er kannte die notwendig instrumentelle Funktion der Soziologie, aber er kannte eben auch die methodischen Grenzen dieser neuzeitlichen Disziplin, um die auch hervorragende Vertreter dieser Fachdisziplin wie René König, Erwin K. Scheuch, Helmut Schelsky, Friedrich H. Tenbruck wußten. Sie hatten davor gewarnt, Soziologie zur Sozialphilosophie, erst recht zu einer Schlüsselwissenschaft und universalen Weltbild werden zu lassen. Gerade als soziologisch versierter Philosoph und Theologe erfaßte Weber, daß viele seiner Fachkollegen nicht die exakten soziologischen Methoden gebrauchen wollten, sondern von der Soziologie als Weltbild fasziniert waren. Diese Überschreitung der Grenzen des soziologischen Faches, die vor allem durch die Frankfurter Soziologenschule einerseits, aber auch durch weltanschauliche Positivisten andererseits erfolgte, fand Webers berechtigte Kritik. Wie die Soziologen Helmut Schelsky und Friedrich Tenbruck wies er den Anspruch der Allein- und Totalerklärung durch die Soziologie zurück. Diesen weltanschaulichen ‚Mehrwert‘ hatte er im Sinn, wenn er warnte, daß Theologie „bei dem massiven Eindringen der Soziologie in die Theologie und in kirchliches Sprechen und Handeln“ (Rauscher: Wilhelm Weber †, 1984, S. 20), ihre Eigenständigkeit verlieren würde, ja daß die Glaubensverkündigung ihre autochthone dynamische und menschenbewegende Kraft einbüßen könnte. Muß diese den Nerv von Theologie und Kirche treffende Fragestellung in einer sich säkularisierenden Welt nicht gründlicher bedacht werden? Muß nicht sogar die Frage erlaubt sein, wenn Theologen Webers Buch weithin verschweigen, daß sie in ihren Selbstsäkularisierungstendenzen nicht gestört werden wollen? Kassandra ist nie geliebt worden.
Webers unerschütterlicher Antimarxismus würde heute souveräner beurteilt. Leider hat er die befreienden Stunden der weltpolitischen Wende, die den jahrzehntelangen Konflikt zwischen der westlichen und der östlichen Welt beendete, und den damit verbundenen Stimmungsumschwung in den Hörsälen der Universitäten und in der Gesellschaft nicht mehr erlebt. Wahrscheinlich hätten sich auch seine Hörsäle wie bei etlichen Professoren, die dem Zeitgeist des Neomarxismus über Jahrzehnte widerstanden, wieder schlagartig gefüllt. Auch wenn Menschen ungern Irrtümer eingestehen, so haben sie doch ein treffendes Gespür für den Weitblick von Zeitgenossen, die über den Tellerrand eigener politischer Befangenheit hinauszublicken und zu denken bereit und fähig sind. Weber hatte nicht allein den Durchblick bei den wissenschaftlichen Schwachstellen des Marxismus-Leninismus und den Inhumanitäten der staatlich-politischen Realisierungsversuche  dieser Ideologie,  er  hatte zudem  den Mut und die Kraft, die Inkompetenz dieser politökonomischen Weltanschauung öffentlich aufzuzeigen und zu brandmarken, auch dort, wo man von dieser Entlarvung in der Zeit politischer Koexistenz nichts wissen wollte. Jedoch wäre ihm wohl mancher Hader erspart geblieben, wenn er sich psychologisch stärker auf die Mentalität seiner Kontrahenten eingestellt hätte, ohne seiner Überzeugung untreu zu werden. Er kämpfte mitunter mit dem schweren Säbel, wo das leichte Florett wirksamer gewesen wäre.
Dank erfuhr er für seinen unermüdlichen Einsatz zwar nicht allein, aber doch vorrangig vom Bund Katholischer Unternehmer, dem er Jahrzehnte als wissenschaftlicher und geistlicher Berater die Treue hielt. Da er selbst kein Unternehmer war, selbst einer einfachen Arbeitnehmerfamilie entstammte, nie persönlichen Reichtum gewann, läßt sich ja fragen, was ihn motiviert hat, diese Beratungstätigkeit mit so großem persönlichen Engagement zu betreiben. Gewiß, der BKU hat sein Institut finanziell unterstützt, wenn dies auch nicht mehr in dem Ausmaß möglich war, wie dies in der Zeit seines Vorgängers geschah, aber in der Fakultät hat ihm dieser Einsatz wohl kaum mehr Reputation eingebracht. Finanzielle Beweggründe dürften nicht ausreichen, wenn man im Sinne der Frankfurter Schule nach seinem interessegeleiteten Handeln fragt. Weber war zutiefst überzeugt, daß die Institution des wirtschaftlichen Unternehmers und seine kreativen Leistungen ein entscheidendes Element der Freiheit im gesellschaftlichen und politischen System der Bundesrepublik, ja des euratlantischen Raumes darstellt. Deshalb machte er auch dem BKU immer wieder bewußt, daß eigentlich eine Interessenidentität zwischen der freiheitsstiftenden Kraft der Katholischen Kirche, ihrer Soziallehre und der Freiheit des privaten Unternehmertums besteht: „In beiden Fällen handelt es sich um persönliche und korporationsrechtliche Freiheitsräume, und der Angriff auf einen (...) von ihnen zieht nach dem Gesetz, nachdem die radikaldemokratisch-systemsprengenden Kräfte angetreten sind, logisch und praktisch unweigerlich den Angriff auch auf alle anderen Freiheitsräume nach sich.“ (W. Weber: Hat der Bund Katholischer Unternehmer eine spezifische Aufgabe. In: Ders., Person in Gesellschaft, 1978, S. 362) Deshalb ermunterte er den Bund Katholischer Unternehmer, auch in schwieriger Zeit, in der aus dem katholischen Raum manch unberechtigter Vorwurf die Unternehmer hart traf, der Katholischen Soziallehre die Treue zu halten: „Der BKU wird gut daran tun, nicht ausgerechnet in einer Zeit der Irrungen und Wirrungen und der tödlichen Gefahren für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung jenes Instrument eines ordnungspolitischen Realismus aus der Hand zu geben, das in der katholischen Soziallehre bereitliegt.“ (Ebd.)
 Weber war nicht allein der entschiedene Vertreter des BKU im Raum der Kirche, der Wissenschaft und der Gesellschaft, sondern nahm auch seine Aufgabe als geistlicher Mahner sehr ernst: Im Unternehmern „ist es außerordentlich wichtig, daß Fähigkeiten und Talente von Mitarbeitern erkannt werden und entsprechend zum Einsatz kommen. Der gute Unternehmer muß daher die Zeit finden, seine Mitarbeiter wirklich kennenzulernen. Der letzte Sinn des Wirtschaftens, dem auch der Unternehmer verpflichtet ist, kann nur die Entfaltung des Humanums sein.“  (Ebd. S. 325) Die Humanisierung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Welt war sein persönliches Ziel, und dies ist auch das Ziel christlicher Sozial- und Wirtschaftsethik. Diese Zielperspektive weitete Weber auf den europäischen und internationalen Raum aus. 
Dabei vernachlässigte er nicht seinen privaten, häuslichen Bereich. 1970 hatte er mit der Familie seiner Schwester in Münster-Gremmendorf ein eigenes Haus bezogen. Den Verwandten war er herzlich verbunden und den dort heranwachsenden drei Kindern „bester Freund und Ratgeber“. Alle, die ihn näher kannten, lobten seine Herzensgüte, seine Geselligkeit, seinen feinsinnigen Humor, der Außenstehenden so oft verborgen blieb. Er pflegte einen bescheidenen, aber familienorientierten, Geborgenheit schaffenden Lebensstil. Er lebte, was er lehrte: „Gerade die Familie ist, entgegen den Invektiven mancher Kritiker, ein Einübungsraum für echte Menschlichkeit, auch für Freiheit.“ (W. Weber: Bedrohung der Freiheit - Bedrohung des Menschen. Rheinberg 1978).
 Die Familie seiner Schwester gab ihm die Kraft, gegen alle Stürme der Zeit durchzuhalten und sich von den Herausforderungen der Hochschule und des öffentlichen Lebens zu erholen. Trotz gewisser Beschneidungen hat Weber das Institut für Christliche Sozialwissenschaften in die Zeit nach der politischen Wende hinübergerettet, als der neomarxistische Spuk an den Hochschulen sein abruptes Ende fand, und die Wissenschaft in Forschung und Lehre wieder ungestört durch drangsalierende Ideologien ihren sachgerechten Aufgaben nachgehen konnte. Für den zweiten Weber auf dem Hitze-Lehrstuhl kam es zwar nicht so bedrohlich wie für den ersten Weber, der seinen Lehrstuhl und sein Institut zwangsweise aufgeben mußte, aber doch persönlich nicht weniger gesundheitsschädigend. Die staatliche Demokratie ist zwar in den siebziger und achtziger Jahren anders als in den dreißiger Jahren nie ernstlich in Gefahr gewesen, aber manche extremen Auswüchse an den Hochschulen erinnerten den historisch bewußten Hochschullehrer an die Exzesse zu Beginn der dreißiger Jahre, „die böse historische Kontinuität der Vergewaltigung des Mitmenschen aus Gesinnung“ (E. Scheuch: Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft, 1968, S. 11), mögen die ideologischen Vorzeichen auch nicht übereingestimmt haben. Es war der vergleichbare „totalitäre Charakter“ einer Bewegung, die Wilhelm Weber herausgefordert hat und der er sich mutig, standfest und selbstlos entgegengestemmt hat.