Dienstag, 3. März 2015

Strukturreform der Kirche und Glaubensreform


Strukturreform und Glaubensreform


Sehr viele Argumente pro und contra Theologen-Memorandum sind bereits ausgetauscht worden. An der lebhaften Diskussion haben sich Pastoraltheologen, Dogmatiker, Religionspädagogen und andere beteiligt, oft mit ernst zu nehmenden Argumenten, mitunter aber auch mit solcher ideologischen Schärfe, dass man um die Glaubenseinheit und folglich auch um die Systemeinheit der katholischen Kirche fürchten muss.

Es fehlen bisher in der Diskussion Gesichtspunkte der Christlichen Sozialwissenschaften und auch der Organisationssoziologie. Während der Diskussion um die Soziale Frage im 19. Jahrhundert und auch in der Zeit des sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg haben gerade Christliche Sozialwissenschaftler wie Franz Hitze, Joseph Höffner, Johannes Messner, Oswald von Nell-Breuning den Entwürfen einer umfassenden Gesellschafts- und Wirtschaftsveränderung, die vorwiegend aus sozialistisch-kollektivistischer Richtung erfolgten, die Notwendigkeit von ineinander greifender Struktur- und Gesinnungsreform gegenübergestellt. Beides ist für eine Gesellschaftsreform erforderlich, nicht das eine gegen das andere auszuspielen. Die ethische Verantwortung und das sittliche Denken sind zu erneuern und aus diesem veränderten Denken die notwendigen gemeinschaftsfördernden Reformen in der Gestaltung der Gesellschaftsordnung anzugehen. Johannes Messner schrieb: „Es ist eine alte Erfahrungstatsache, dass auch die besten Institutionen versagen, wenn einer Gesellschaft der entsprechende Geist mangelt“, es gäbe aber auch keinen Beweis dafür, „dass eine Gesinnungsreform allein reicht“.

Nun sind Gesellschaft und Kirche nicht identisch, Kirche ist eine eigenständige soziale Größe, dennoch gibt es Vergleichbares. In der Kirche ist Gesinnungsreform noch um Glaubensreform zu ergänzen. Glaubenserneuerung in der Kirche ist im Laufe der Geschichte immer wieder zu realisieren. Glaubens- und Gesinnungsreform schließen aber Strukturreformen nicht aus, sondern greifen ineinander.

Organisationssoziologisch ist zu fragen, ob beide Reformen gleichzeitig erfolgen können und müssen, oder ob die eine Dimension der Reform der anderen vorausgehen kann.  Welche organisatorischen Bedingungen müssen vorhanden sein, damit eine Strukturreform wirklich gelingt und nicht zu Fehlschlägen und neuen Enttäuschungen führt? Hat eine glaubensmäßig und sozial geschwächte Kirche wirklich die Kraft zu einer erfolgreichen Strukturreform oder bringt sie nur neue Enttäuschungen und Wirrnisse? Vor 40 Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Vaticanum waren die Zeitumstände für eine Strukturreform günstiger als heute. Es gab den Schwung und die Euphorie des Zweiten Vaticanums. Das Glaubensfundament in Gesellschaft und Kirche war gefestigter als heute. Eine tiefergreifende Strukturreform ist damals verpasst worden, so sehr, dass der Begriff Strukturreform inzwischen bei einem Teil der Kirchenmitglieder in Misskredit geraten ist.

Es besteht ein Zusammenhang zwischen Zielen, Strukturen und den Handlungsmustern der leitenden und teilnehmenden Personen. Strukturen und Handlungen müssen zielorientiert sein. Diese Ziele sind klar und unmissverständlich zu benennen. Sind sich Bischöfe und Theologen einig über die zu realisierenden Ziele? Dogmatiker mögen sagen, die Ziele für die Kirche sind von Christus vorgegeben. Aber auch dann müssen sie im Bewusstsein der entscheidenden Personen präsent sein, wenn die Ziele zum gemeinsamen Handeln und nicht zu einem Gegeneinanderhandeln führen sollen. Die Zielprioritäten müssen klar sein, wenn eine Strukturreform gelingen soll. Wenn Zielentscheidungen in den Entscheidungsgremien gefallen sind, dann müssen sie übereinstimmend auch durchgesetzt werden. Die Glaubwürdigkeit der Kirche steht andernfalls auf dem Spiel. Auch Kirche als Organisation kann nicht mit unterschiedlichen Stimmen sprechen, erst recht nicht divergierend handeln. 

Theologen, die oft allein von Idealen ausgehen, sind sich bei ihren mehr oder weniger berechtigten Wünschen nach Strukturreformen, oft nicht im klaren über die Schwierigkeiten von Entscheidungsprozessen und den Ziel-Handlungszusammenhang. Nicht immer sind die hehren Ziele die besten, sondern die realisierbaren. Bei angestrebten Strukturreformen ist das Potential, das Glaubenspotential, aber auch das Fähigkeitspotential der Mitglieder, vor allem der auf den Ebenen von Bistum und Gemeinde verantwortlich Handelnden zu berücksichtigen.

Diese Stellungnahme aus der Perspektive der Sozialwissenschaften incl. der Christlichen Sozialwissenschaften ist kein Plädoyer gegen Strukturreform, sondern für die Konvergenz von Struktur-, Gesinnungs- und Glaubensreform und für sachliche Überlegungen, wie diese Reformen optimal zu erreichen sind.


Prof. Dr. Manfred Hermanns
21244 Buchholz in der Nordheide

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