Donnerstag, 14. Mai 2015

Im Dienst der Jugendsozialarbeit, Grußwort bei der akademischen Feier von Karl Hugo Breuer


Karl Hugo Breuer

Im Dienst der Jugendsozialarbeit
Grußwort bei der akademischen Feier
 aus Anlass des Ausscheidens
von Professor Dr. Manfred Hermanns aus dem öffentlichen Dienst

Wenn ein verdienter Hochschullehrer Abschied von seinem Lehrauftrag und seiner Hochschule nimmt, kommt es sicher zuvörderst dieser Hochschule zu, ihm für das zu danken, was er in den Jahren seiner in Lehre, Forschung und im Leben der Hochschule geleistet hat. Wieso mischt sich auch die Jugendsozialarbeit, dieses von seinen sozialpädagogischen Angeboten für benachteiligte und beeinträchtigte Jugendliche den Bereich der Bildung zwar stark tangierende, aber von seiner Verortung im Sozialgesetzbuch doch eher dem Bereich des Sozialen zuzuordnende Handlungsfeld, in das Konzert dankbarer Stimmen ein? Sie tut es deshalb, weil sich dieser Professor Manfred Hermanns wie kaum ein anderer Hochschullehrer auch im Feld der Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe engagiert hat, und das in einem Maße und in einem Umfang, die weit über das hinausgehen, was man in aller Regel von einem Vertreter angewandter Wissenschaften an Praxisbezug erwarten kann und darf. Und er hat nicht nur über Jahrzehnte mit Einrichtungen und Fachkräften, mit Trägern und Trägergruppen der Jugendsozialarbeit Kontakt gehalten und sie beraten, angeregt und gefördert - schon dafür können wir ihm nicht dankbar genug sein -, er hat vielmehr durch eine Fülle wissenschaftlich fundierter Beiträge der Jugendsozialarbeit wichtige Anstöße, dankenswerte Hilfen zu ihrer Fundierung und nicht zuletzt kritisch klärende Hinweise und Anregungen zu ihrer Weiterentwicklung vermittelt. Und er hat das nicht nur als Nebenbeschäftigung oder Hobby neben seinem Beruf als Hochschullehrer der Soziologie getan, sondern in einer Verschränkung von Wissenschaft und gesellschaftlicher Wirklichkeit im Feld „Jugend und Beruf“, in einer Zusammenführung von Praxis und Theorie, mit der er beide bereichert und gefördert hat. 

Lassen Sie mich, lieber Herr Hermanns, in diesem Zusammenhang erinnern, dass Sie in den Jahren 1976 - 1979 nicht nur eine der frühesten wissenschaftlichen Begleitungen einer Modellmaßnahme des damaligen Bundesjugendplanes für lernschwache, berufsunreife und arbeitslose Jugendliche und Berufsanfänger übernommen haben, sondern diese zugleich zum Anlass für die Ausarbeitung einer programmatischen „Aktionsforschung zur Jugendberufshilfe“ genutzt haben. Für Träger und Fachkräfte, zugleich für Trägergruppen und Jugendbehörden sowie für Lehrende und Studenten der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik haben Sie damit einen methodischen Bezugsrahmen von Aktionsforschung erstellt und eine detaillierte Einführung in die Verfahrensweisen einer Verbindung praktischer Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe und empirischer Sozialwissenschaft gegeben, die von vielen späteren Modellprojekten und ihren Begleitern dankbar genutzt worden sind.

Lassen Sie mich weiterhin erinnern an Ihre wenige Jahre später, 1983 erschienene instruktive Studie „Jugendarbeitslosigkeit - Wirkungen eines sozialen und politischen Problems in verschiedenen Epochen dieses Jahrhunderts“, mit der Sie das Engagement der Jugendsozialarbeit in diesem Bereich unterstützt, gefördert und vertieft, ganz besonders aber auch die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen in der Jugendpolitik und weit über sie hinaus für die fatalen Folgen von Jugendarbeitslosigkeit geweckt und geschärft haben. Aus dieser 72-seitigen Studie, die wir im Rahmen der „Arbeitshilfen zur Jugendsozialarbeit“ veröffentlichen durften, ist dann später - 1990 - Ihre bei Leske & Budrich in Opladen erschienenes Buch „Jugendarbeitslosigkeit seit der Weimarer Republik“ hervorgegangen - eine der gründlichsten, originellsten und eindrucksvollsten Studien zu einer Thematik, deren Aktualität im letzten Jahrzehnt noch gravierend zugenommen hat. 

Dabei ist mit Nachdruck daran zu erinnern, dass Sie die Thematik der Jugendarbeitslosigkeit nie nur im jeweils aktuellen arbeitsmarktpolitischen Kontext gesehen und behandelt haben, sondern immer im Zusammenhang mit der für die Sozialisation und Personalisation des jungen Menschen grundlegend wichtigen Bedeutung von Arbeit und Beruf in der modernen Gesellschaft. In zahlreichen Aufsätzen haben Sie eindringlich auf Wert und Sinn der Arbeit und auf die Bedeutung der Arbeit gerade für junge Menschen, ihre Verselbständigung und Selbstfindung und für ihre Integration in die Gesellschaft, hingewiesen.

1989 haben Sie uns mit einer ersten Untersuchung der „Jugendberufshilfe und Jugendsozialarbeit in der Weimarer Republik“ überrascht, in der Sie die bisher wenig beachteten, aber durchaus beachtenswerten Ansätze und Formen, Erfahrungen und Ergebnisse von Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe in der Zeit der Weimarer Republik vorgestellt und neu ins Bewusstsein gehoben haben; zugleich haben Sie damit ein auch für uns Heutige lehrreiches Kapitel deutscher Jugend- und Berufshilfe historisch aufgearbeitet. 

Lassen Sie mich an die ebenso bewundernswerte wie für uns alle unentbehrliche erste umfassende und systematisch strukturierte „Bibliographie zur Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe 1900 - 1995“ erinnern, die Sie uns 1996 geschenkt haben und in der Sie rd. 1500 Titel aus der Buch- und Zeitschriftenliteratur zusammengetragen haben - eine Arbeitshilfe, deren Vervollständigung und Weiterführung bis zum Jahre 2000 wir uns alle wünschen.

Und lassen Sie mich last not least auf die Folge brillanter Rezensionen hinweisen, die Sie in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im „Jahrbuch für Jugendsozialarbeit“, aber auch an anderer Stelle, nicht nur zu Veröffentlichungen aus den Bereichen Jugendsozialarbeit/ Jugendberufshilfe, sondern weit darüber hinaus zu Neuerscheinungen aus dem Gesamtbereich Wirtschaft und Gesellschaft publiziert haben. Sie haben bedeutsame und weiterführende Literatur sorgfältig ausgewählt, sich auch schwierigen und zeitaufwendigen Besprechungsaufträgen nicht entzogen. Sie haben kritisch konstruktive und zugleich lesbare, ja zum Lesen einladende, von vielen Lesern mit Spannung erwartete Rezensionen geschrieben, und Sie haben damit Ihren Lesern Maßstäbe zur Bewertung von sozialwissenschaftlich relevanter Literatur an die Hand gegeben.

Meine Damen und Herren, woher nimmt ein Manfred Hermanns die Kraft für ein solches zusätzliches, seine - sehr ernst genommene - Tätigkeit als Hochschullehrer weit übersteigendes Engagement? Für uns in der Jugendsozialarbeit ist das keine Frage biographischer Neugier, für uns ist das eine Lebensfrage: unsere Arbeit für und mit jungen Menschen im Übergangsfeld Schule und Beruf, in der Hilfe zum Beruf, im Beruf und zum beruflichen Aufstieg bzw. Umstieg, insbesondere in der Hilfe für Benachteiligte und Beeinträchtigte, für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte, diese sehr anspruchsvolle Arbeit ist auf Wissenschaftler, die sie begleiten und beraten, die sie auswerten, die sie, wo nötig, auch korrigieren, lebensnotwendig angewiesen, wenn sie nicht in Routine erstarren und hinter den Anforderungen einer im ständigen Wandel befindlichen sozialen Wirklichkeit zurückbleiben will. Zwar ist mir wohl bewusst, dass ich die Frage nach den Quellen der Kraft des Manfred Hermanns auch nicht annähernd beantworten kann. Als er fünfzig Jahre alt wurde, hat er in der letzten Strophe eines hundertstrophigen Gedichtes, in dem er eine Bilanz seiner fünf ersten Lebensjahrzehnte zog, geschrieben:

„Diese Personalität ist Einmaligkeit und bleibt auch ein Stück Rätselhaftigkeit.“

200 Jahre vor ihm schrieb - im September 1780 - der junge Goethe an Freund Lavater in Zürich: 

„Hab ich Dir das Wort , Individuum est ineffabile‘,
woraus ich eine Welt ableite, schon geschrieben?“

Aus der Goethe-Forschung wissen wir, dass dieses Wort „Individuum es ineffabile“, das Individuum ist unaussprechlich, unbeschreiblich, das man als eines der Leitworte der kulturell so fruchtbaren „Sturm und Drang“-Epoche bezeichnen kann und dessen Nachwirkung bis heute festzustellen ist, ein Merksatz thomistischer Philosophie des Mittelalters war - verschlungene Wege der Geschichte des Geistes, wie sie unseren Jubilar immer fasziniert haben.

Wie aber könnte man sich dem „Ineffabile“ des Menschen und Wissenschaftlers und Praxisberaters Manfred Hermanns wenigstens anzunähern versuchen? Da mir die quellenmäßigen Voraussetzungen für eine solche Annäherung  mit den Mitteln der Historiographie oder der Psychologie oder der Soziologie fehlen, bleibt mir nur der Weg vorwissen-schaftlichen Herangehens, und den möchte ich mit Goethes „Urworten. Orphisch“  versuchen. Orpheus - das ist ja eine Gestalt griechischer Mythologie, in der das Amt des Sängers noch nicht von dem des Priesters und des Weisen, die Dichtung noch nicht von der Mythologie, der Mythos nocht nicht vom Logos getrennt war. An die orphischen Geheim-lehren knüpfte Goethe in den fünf Strophen seiner „Urworte. Orphisch“ an, um Zugänge zu dem Einmaligen, zu dem Charakteristischen eines Menschen zu finden, um Unsagbares, Unbeschreibliches andeuten zu können.

Das Erste dieser Urworte, „Dämon“ überschrieben, kommt uns gleich ernst und eindringlich und unvergesslich wie das Hauptmotiv aus Beethovens 5. Symphonie, der „Schicksalssymphonie“ entgegen:

Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen, 
So sagten schon Sibyllen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“

Mit dem Stand der Sonne und der Planeten ist keine astronomische Konstellation angesprochen, kein astrologisches Geheimwissen gemeint; dieses Bild steht vielmehr - nach Goethes eigenem Wort in einer Erläuterung der „Urworte. Orphisch“ - für „die notwendige, bei der Geburt unmittelbar ausgesprochene, begrenzte Individualität der Person, das Charakteristische, wodurch sich der Einzelne von jedem anderen bei noch so großer Ähnlichkeit unterscheidet.“

Lieber Herr Hermanns, neben Ihrer bewundernswerten Zuverlässigkeit und Präzision bei der Erfüllung von Ihnen übernommener Aufträge scheint mir vor allem Ihre Offenheit, getrieben von einer nimmermüden Neugier, eine Gabe Ihres Dämons zu sein. Das wird schon sichtbar in der Fakultäten übergreifenden Wahl Ihrer Studienfächer: Philosophie und Theologie, Geographie und Geschichte, Soziologie und Sozialwissenschaften, und das hat Sie Ihr Leben lang - bei aller notwendigen Spezialisierung - zu einem Generalisten gemacht und vor der Beschränktheit bloßen Spezialistentums bewahrt. Ob Sie ohne diese Offenheit und Neugier jemals den Weg zur Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe und den ihr aufgegebenen jungen Menschen gefunden hätten?

Das Zweite der „Urworte. Orphisch“, „Das Zufällige“ überschrieben, meint nicht nur den Zufall, den wir im Alltag so oft und schnell bemühen, sondern vor allem das, was uns im Leben zu-fällt, was uns in der Begegnung mit Menschen „bildet“ und „entzündet“:

„Die strenge Grenze doch umgeht gefällig
Ein Wandelndes, das mit und um uns wandelt;
Nicht einsam bleibst du, bildest dich gesellig
Und handelst wohl so, wie ein andrer handelt:
Im Leben ist‘s bald hin-, bald widerfällig,
Es ist ein Trend und wird so durchgetandelt.
Schon hat sich still der Jahre Kreis geründet:
Die Lampe harrt der Flamme, die entzündet.“

Was wäre aus Manfred Hermanns ohne die Begegnung mit Romano Guardini, ohne sein lebenslanges Mitwirken im Bund Neudeutschland geworden, was ohne das Studium bei Theologen und Philosophen wie Werner Schöllgen, Hermann Volk, Josef Pieper, was ohne den nicht nur weitgereisten und welterfahrenen, sondern auch die Ökologie entdeckenden Geographen Carl Troll, was ohne den - von der Soziologie der Arbeit und des Berufes, der Familie und der Jugend herkommenden - soziologischen Lehrer Helmut Schelsky, und was ohne den akademischen Lehrer, der „ihn am meisten fasziniert“ hat: Joseph Höffner, den Sozialwissenschaftler und späteren Bischof von Münster und Erzbischof von Köln, dem er 1996 eine liebevolle biographische Skizze - hoffentlich Urzelle einer späteren umfassenden Biographie - gewidmet hat? Wie wären Weg und Leben dieses Manfred Hermanns ohne Ludwig Neundörfer und die Arbeit an dessen Soziographischen Institut, wo ihm die „Fundamente der Sozialpolitik“ vermittelt wurden, verlaufen,  wie ohne die Betroffenheit durch das Werk von Karl Marx und die Auseinandersetzung mit ihm und seinen späteren Nachfolgern in Frankfurt der sechziger Jahre, wie ohne die Begegnung mit dem Werk von Karl Popper und Hans Albert? Was wäre aus ihm geworden ohne die Mitarbeit im Bensberger Kreis, was ohne die Erfahrungen, Widerfahrnisse und Verletzungen der Paderborner Zeit und ihre Folgen? Und auch hier die Frage: Hätte er ohne dieses „Zufällig“, ohne diese ihm zu-gefallenen Begegnungen, Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen jemals den Weg zur Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe gefunden?

„Eros, Liebe“ ist das Dritte von Goethes „Urworten. Orphisch“ überschrieben:
„Die bleibt nicht aus! Er stürzt vom Himmel nieder,
Wohin er sich aus alter Öde schwang,
Er schwebt heran auf luftigem Gefieder
Um Stirn und Brust den Frühlingstag entlang,
Scheint jetzt zu fliehn, vom Fliehen kehrt er wieder,
Da wird ein Wohl im Weh, so süß und bang.
Gar manches Herz verschwebt im Allgemeinen,
Doch widmet sich das Edelste dem Einen.“

Eros - das ist in den orphischen Geheimlehren nicht der verspielte, nicht der erotischem Genuss nachjagende Liebesgott, wie wir ihn aus so manchem Bild, manchem Gedicht kennen. Eros - das ist eine kosmische Urmacht, die auf das Chaos, die „alte Öde“ folgt. Eros ist als Zeugungskraft ein Element der Weltentstehung. Er ist es, der den Menschen den Zugang öffnet zu Mitmensch, Welt und Gott, und nach Plato auch zum Guten, Wahren und Schönen, der Antrieb für das philosophische Erkenntnisstreben, für den Aufschwung in die Welt der Ideen. Eros - er ist es, der den Menschen - um wiederum eine Goethesche Unterscheidung zu nutzen - in seinem Verhältnis zu dem, was über ihm ist, zu dem, was neben ihm ist, und zu dem, was unter ihm ist, bewegt und antreibt. 

Und wiederum die Frage: Was wäre aus diesem Manfred Hermanns ohne diese bewegende und antreibende Urkraft geworden? und: Hätte er je den Weg zur Jugendsozialarbeit, zur Arbeit mit benachteiligten jungen Menschen, zu den jungen Menschen oft aus den untersten sozialen Schichten gefunden?

„Nötigung“ ist uns Heutigen als ein Begriff aus der Sprache des Rechts geläufig: jemand mit Druck, Drohung, Gewalt dazu bestimmen, etwas zu tun oder nicht zu tun. Goethe, der das Vierte der „Urworte. Orphisch“ mit „Nötigung“ überschrieb, hat diesen Begriff, einen der Hauptbegriffe seines Denkens viel weiter verstanden:

„Da ist‘s denn wieder, wie die Sterne wollten:
Bedingung und Gesetz; und aller Wille
Ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten, 
Und vor dem Willen schweigt die Willkür stille;
Das Liebste wird vom Herzen weggescholten,
Dem harten Muß bequemt sich Will‘ und Grille.
So sind wir scheinfrei denn nach manchen Jahren
Nur enger dran, als wir am Anfang waren.“ 

Nötigung im Sinne Goethes, das, was unser Leben bedingt, begrenzt, beschränkt, hat durchaus zwei Aspekte: die Erfahrung einer Einengung, der wir uns nicht entziehen können, zugleich aber auch Bedingung und Beschränkung, damit wir dem gerecht werden, was „die Sterne wollten“. Und so heißt es an andrer Stelle:

„In der Beschränkung zeigt sich auch der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“

Es war kein leichter Weg, es war ein hartes Muss für Manfred Hermanns, der Weg von der herrlichen Offenheit des Studenten und Akademiedozenten zur Beschränkung auf die Bereiche Sozialwissenschaften, insbesondere Soziologie. Und doch - müssen wir nicht alle dankbar sein, die - gewollt oder ungewollt - daran mitgewirkt haben? Hätte er sonst, so fragen wir uns, den Weg zur sozialen Arbeit und erst recht den Weg zu dem speziellen Feld der Jugendsozialarbeit gefunden?

Nachdem  das Vierte der Urworte schon zu dem Ersten zurückgeführt hatte und der Kreis gerundet erscheint, bringt Goethe überraschend noch ein letzte, fünftes Urwort ein: Hoffnung

„Doch, solcher Grenze, solcher eh‘rnen Mauer 
Höchst widerwärt‘ge Pforte wird entriegelt, 
Sie stehe nur mit alter Felsendauer!
Ein Wesen regt sich leicht ungezügelt:
Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer
Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflügelt;
Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt durch alle Zonen -
Ein Flügelschlag - und hinter uns Äonen.“

Wo mag sie Manfred Hermanns zuerst begegnet sein, die Hoffnung, die „uns leben hilft“? Im Katechismus seiner Kinderjahre, der die Hoffnung mit Glauben und Liebe zu den „gött-lichen Tugenden“ zählt? Bei seinem philosophischen Lehrer Josef Pieper, der uns in der Bedrängnis der NS-Zeit 1935 eine Studie über die Hoffnung an die Hand gab, die er als „die einzige Antwort, die der wirklichen Existenzsituation des Menschen entspricht“, beschrieb und die er einer dem Menschen nicht angemessenen Besitz-Gewissheit, aber ebenso auch einer die wirkliche Lage des Menschen verfehlenden Verzweiflung entgegensetzte? Bei Ernst Bloch und seinem monumentalen, aus undogmatischer marxistischer Sicht 1938 - 1947 geschriebenen, 1956 - 1959 veröffentlichten Werk über das Prinzip Hoffnung?

Wo immer es auch gewesen sein mag - diese Hoffnung war es, die Manfred Hermanns durch sein ganzes Leben getragen hat, auch und gerade dann, wenn er - mit dem Wort des Psalmisten - „in valle tenebrosa“, „im finsteren Tal“ oder - wie Guardini übersetzt - „in dunkler Schlucht“ wandern musste.

Diese Hoffnung, die Sie gerade auch in Zeiten tiefer Enttäuschung und großen Leids getragen hat, auch anderen, die durch dunkles Tal wandern müssen, zu vermitteln, sind Sie nie müde geworden. Gerade auch im Blick auf die ihrer Hoffnungen oft schon so früh beraubten jungen Menschen ohne Arbeit, ohne Beruf, ohne Perspektiven.

Bei Leonardo da Vinci, der ja nicht nur einer der grössten Künstler und Wissenschaftler, sondern auch einer der ganz großen Aphoristiker der Weltliteratur mit einer an die Vorsokratiker gemahnenden Tiefe war, heißt es einmal: „Nicht wer anfängt, sondern wer da ausharrt“. Die Hoffnung, lieber Herr Hermanns, hat ihnen immer wieder die Kraft geschenkt, auszuharren, durchzuhalten in Ihrem Einsatz für das als richtig Erkannte und in Ihrem Einsatz für Menschen an der Schattenseite der Gesellschaft.

Nun liegt eine neue Phase Ihres Lebens vor Ihnen. Ihr Dämon, aber auch das Zufällige, Ihr Eros, aber auch die Nötigung, und über allem die Hoffnung werden den Menschen, den Christen, den Wissenschaftler, den vielfältig Engagierten auch weiterhin führen und geleiten. Das ist unser herzlicher Wunsch für die Zeit, die vor Ihnen liegt.

Den Dank, den wir Ihnen schulden, möchten wir in zwei Sprüchen des alten Goethe andeuten, die Ihnen auf den Leib geschrieben sein könnten:

Der erste Spruch:

„Weite Welt und breites Leben,
Langer Jahre redlich Streben,
Stets geforscht und stets gegründet,
Ältestes bewahrt mit Treue,
Freundlich aufgefasstes Neue,
Heitern Sinn und reine Zwecke:
Nun! man kommt wohl eine Strecke.“

Und der zweite Spruch:

„Hätte Gott mich anders gewollt,
So hätt‘ er mich anders gebaut;
Da er mir aber Talent gezollt,
Hat er mir viel vertraut.
Ich brauch‘ es zur Rechten und Linken,
Weiß nicht, was daraus kommt;
Wenn‘s nicht mehr frommt,
Wird er schon winken:“ 

Freitag, 1. Mai 2015

Der Sozialethiker Wilhelm Weber in einer Zeit des Umbruchs


Wilhelm Webers Wirken fiel weltpolitisch in die Zeit des Kalten Krieges. Obwohl seit 1966 ein Prozeß der Entspannung einsetzte, ging die weltanschauliche Auseinandersetzung zwischen der liberalen westlichen und der sozialistischen östlichen Welt unvermindert weiter. Innenpolitisch war es die Zeit des Umbruchs von der Nachkriegszeit, die unter dem Zeichen des Wiederaufbaus unter Konrad Adenauer gestanden hatte, zur sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und Helmut Schmidt. Der Einfluß der Katholischen Soziallehre in Gesellschaft und Staat war deutlich zurückgegangen. Diese wurde auch nicht mehr von einem geschlossenen katholischen Milieu getragen. Insbesondere große Teile der jungen Generation brachen aus dem sicher geglaubten Gefüge politischer und gesellschaftlicher Traditionen aus. Diese tiefgreifenden Wandlungen vollzogen sich besonders vehement an den Hochschulen. Emanzipation und Demokratisierung wurden zu dominanten Leitbildern in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. 
Diese anfangs eher liberalen Bestrebungen verbanden sich in Deutschland, vielen Ländern Westeuropas und Lateinamerikas zunehmend mit sozialistischem Gedankengut, so daß auch ursprüngliche Befürworter der neuen Bewegung mit der Zeit von dieser abrückten. Auch die Theologie der Befreiung entsprang anfänglich emanzipatorischen Bedürfnissen unterdrückter Völker und nahm dann immer mehr marxistisches Gedankengut auf. Fatal wirkte sich aus, daß viele Theologen, die sich für die Armen ihrer Länder einsetzen wollten, die empirische Soziologie überhaupt nicht kannten. So meinten sie, marxistische Gesellschaftsanalyse wäre die einzig brauchbare zur Erfassung und Kennzeichnung der in ihren Ländern vorfindbaren gesellschaftlichen Verhältnisse. Dazu wurde von marxistisch-leninistischer Seite alles unternommen, um empirisch-analytische Soziologie als „bürgerlich“ zu diffamieren. Marxistische Bewegungen in Lateinamerika wurden finanziell und ideell massiv von der Supermacht Sowjetunion unterstützt.
Das ist der politisch-ideologische Hintergrund, auf dem Wilhelm Webers Arbeiten zu interpretieren und zu würdigen sind. Sicher war der bodenständige Sauerländer Weber kein Freund von politischen Bewegungen, hatte er sich doch schon in seiner Jugend ablehnend gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung verhalten. Aber er hätte  sich  mit   der  Emanzipationsbewegung  eher  anfreunden können, wenn sie in gemäßigt liberalen Bahnen geblieben wäre. Denn wie seine Vorgänger auf dem Lehrstuhl in Münster hatte er seinen Frieden mit dem politischen und wirtschaftlichen Liberalismus geschlossen, wenn er auch einen ungezügelten Wettbewerb ablehnte und das ordnende Handeln des Menschen als wirtschaftliches Subjekt hervorhob. Wie sein Vorgänger Höffner stand er auf dem Boden des Ordoliberalismus, mag er auch stärker als dieser die Gemeinwohlgerechtigkeit eingefordert haben. Weber sprach sich mitunter für einen dritten Weg aus, der für ihn aber ohne Zweifel näher beim Liberalismus als beim Sozialismus lag. Als kompetenter Wirtschaftswissenschaftler erkannte er deutlich die utopischen Elemente sozialistischer Zukunftsträume. Er wußte auch, daß unrealistische Politikambitionen von ideologischen Weltverbesserern in Gewalt und Unterdrückung umschlagen mußten. Weber erkannte derartige Gefahren in der Zeit des Kalten Krieges nicht allein für sein eigenes Land, sondern auch für den südamerikanischen Kontinent. Man muß sich in Erinnerung rufen, daß von Kuba aus über die „Unidad Popular“ Salvador Allendes in Chile und die sandinistische Regierung Nicaraguas der sozialistische Siegeszug angetreten werden sollte. Webers entschiedener Kampf gegen die marxistisch inspirierte und unterwanderte „Theologie der Befreiung“ ist auf diesem Hintergrund eines weltpolitischen Konfliktes zu sehen, dessen sich seine Zuhörer nicht immer bewußt waren, meinten sie doch oft idealistisch, sich für Gerechtigkeit in der Welt und gegen Armut und Ausbeutung einzusetzen, ohne aber die freiheitsbedrohende Macht des Sozialismus zu erkennen. Weber hatte jedoch das ganze Ausmaß zweier antagonistischer politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und weltanschaulicher Systeme vor Augen. 
Weber war kein Stubengelehrter, den die Geschicke dieser Welt nichts angingen. Im Gegensatz zu den voreingenommenen Gegnern der Katholischen Soziallehre, die sich jetzt auch im Bereich der Theologie, nämlich einer „politischen Theologie“ einfanden, setzte er auf die weltgestaltende Kraft einer Soziallehre aus dem Glauben. Er stand voll in den Spuren seiner Vorgänger, die immer bestrebt waren, die Christliche Soziallehre in den Dienst einer gemeinwohlorientierten Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu stellen. 
Weber wußte wie seine Vorgänger, daß politische Praxis aus der christlichen Perspektive nicht allein mit Theologie zu beeinflussen ist, sondern daß es dazu der modernen Kultur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bedarf. So hat er die Sozial- und Wirtschaftsethik mit den empirischen und analytischen Wissenschaften angereichert. Er war sich der Wandelbarkeit aller gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse bewußt. Seine hervorragende wirtschaftswissenschaftliche Qualifikation wurde auch von seinen Gegnern nicht in Frage gestellt, aber er wurde verdächtigt, ein Gegner der Soziologie zu sein. Dabei haben sie wichtige Differenzierungen nicht wahrgenommen. Weber hatte sich nicht nur umfassende Kenntnisse der allgemeinen soziologischen Theorie, der Familien-, Arbeits- und Berufssoziologie, der Wirtschafts- und Betriebssoziologie, der Religions- und Kirchensoziologie angeeignet, sondern diese auch in seine Sozial- und Wirtschaftsethik, in die Sozial- und Familienpolitik sowie Wirtschaftspolitik eingebaut. Er kannte die notwendig instrumentelle Funktion der Soziologie, aber er kannte eben auch die methodischen Grenzen dieser neuzeitlichen Disziplin, um die auch hervorragende Vertreter dieser Fachdisziplin wie René König, Erwin K. Scheuch, Helmut Schelsky, Friedrich H. Tenbruck wußten. Sie hatten davor gewarnt, Soziologie zur Sozialphilosophie, erst recht zu einer Schlüsselwissenschaft und universalen Weltbild werden zu lassen. Gerade als soziologisch versierter Philosoph und Theologe erfaßte Weber, daß viele seiner Fachkollegen nicht die exakten soziologischen Methoden gebrauchen wollten, sondern von der Soziologie als Weltbild fasziniert waren. Diese Überschreitung der Grenzen des soziologischen Faches, die vor allem durch die Frankfurter Soziologenschule einerseits, aber auch durch weltanschauliche Positivisten andererseits erfolgte, fand Webers berechtigte Kritik. Wie die Soziologen Helmut Schelsky und Friedrich Tenbruck wies er den Anspruch der Allein- und Totalerklärung durch die Soziologie zurück. Diesen weltanschaulichen ‚Mehrwert‘ hatte er im Sinn, wenn er warnte, daß Theologie „bei dem massiven Eindringen der Soziologie in die Theologie und in kirchliches Sprechen und Handeln“ (Rauscher: Wilhelm Weber †, 1984, S. 20), ihre Eigenständigkeit verlieren würde, ja daß die Glaubensverkündigung ihre autochthone dynamische und menschenbewegende Kraft einbüßen könnte. Muß diese den Nerv von Theologie und Kirche treffende Fragestellung in einer sich säkularisierenden Welt nicht gründlicher bedacht werden? Muß nicht sogar die Frage erlaubt sein, wenn Theologen Webers Buch weithin verschweigen, daß sie in ihren Selbstsäkularisierungstendenzen nicht gestört werden wollen? Kassandra ist nie geliebt worden.
Webers unerschütterlicher Antimarxismus würde heute souveräner beurteilt. Leider hat er die befreienden Stunden der weltpolitischen Wende, die den jahrzehntelangen Konflikt zwischen der westlichen und der östlichen Welt beendete, und den damit verbundenen Stimmungsumschwung in den Hörsälen der Universitäten und in der Gesellschaft nicht mehr erlebt. Wahrscheinlich hätten sich auch seine Hörsäle wie bei etlichen Professoren, die dem Zeitgeist des Neomarxismus über Jahrzehnte widerstanden, wieder schlagartig gefüllt. Auch wenn Menschen ungern Irrtümer eingestehen, so haben sie doch ein treffendes Gespür für den Weitblick von Zeitgenossen, die über den Tellerrand eigener politischer Befangenheit hinauszublicken und zu denken bereit und fähig sind. Weber hatte nicht allein den Durchblick bei den wissenschaftlichen Schwachstellen des Marxismus-Leninismus und den Inhumanitäten der staatlich-politischen Realisierungsversuche  dieser Ideologie,  er  hatte zudem  den Mut und die Kraft, die Inkompetenz dieser politökonomischen Weltanschauung öffentlich aufzuzeigen und zu brandmarken, auch dort, wo man von dieser Entlarvung in der Zeit politischer Koexistenz nichts wissen wollte. Jedoch wäre ihm wohl mancher Hader erspart geblieben, wenn er sich psychologisch stärker auf die Mentalität seiner Kontrahenten eingestellt hätte, ohne seiner Überzeugung untreu zu werden. Er kämpfte mitunter mit dem schweren Säbel, wo das leichte Florett wirksamer gewesen wäre.
Dank erfuhr er für seinen unermüdlichen Einsatz zwar nicht allein, aber doch vorrangig vom Bund Katholischer Unternehmer, dem er Jahrzehnte als wissenschaftlicher und geistlicher Berater die Treue hielt. Da er selbst kein Unternehmer war, selbst einer einfachen Arbeitnehmerfamilie entstammte, nie persönlichen Reichtum gewann, läßt sich ja fragen, was ihn motiviert hat, diese Beratungstätigkeit mit so großem persönlichen Engagement zu betreiben. Gewiß, der BKU hat sein Institut finanziell unterstützt, wenn dies auch nicht mehr in dem Ausmaß möglich war, wie dies in der Zeit seines Vorgängers geschah, aber in der Fakultät hat ihm dieser Einsatz wohl kaum mehr Reputation eingebracht. Finanzielle Beweggründe dürften nicht ausreichen, wenn man im Sinne der Frankfurter Schule nach seinem interessegeleiteten Handeln fragt. Weber war zutiefst überzeugt, daß die Institution des wirtschaftlichen Unternehmers und seine kreativen Leistungen ein entscheidendes Element der Freiheit im gesellschaftlichen und politischen System der Bundesrepublik, ja des euratlantischen Raumes darstellt. Deshalb machte er auch dem BKU immer wieder bewußt, daß eigentlich eine Interessenidentität zwischen der freiheitsstiftenden Kraft der Katholischen Kirche, ihrer Soziallehre und der Freiheit des privaten Unternehmertums besteht: „In beiden Fällen handelt es sich um persönliche und korporationsrechtliche Freiheitsräume, und der Angriff auf einen (...) von ihnen zieht nach dem Gesetz, nachdem die radikaldemokratisch-systemsprengenden Kräfte angetreten sind, logisch und praktisch unweigerlich den Angriff auch auf alle anderen Freiheitsräume nach sich.“ (W. Weber: Hat der Bund Katholischer Unternehmer eine spezifische Aufgabe. In: Ders., Person in Gesellschaft, 1978, S. 362) Deshalb ermunterte er den Bund Katholischer Unternehmer, auch in schwieriger Zeit, in der aus dem katholischen Raum manch unberechtigter Vorwurf die Unternehmer hart traf, der Katholischen Soziallehre die Treue zu halten: „Der BKU wird gut daran tun, nicht ausgerechnet in einer Zeit der Irrungen und Wirrungen und der tödlichen Gefahren für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung jenes Instrument eines ordnungspolitischen Realismus aus der Hand zu geben, das in der katholischen Soziallehre bereitliegt.“ (Ebd.)
 Weber war nicht allein der entschiedene Vertreter des BKU im Raum der Kirche, der Wissenschaft und der Gesellschaft, sondern nahm auch seine Aufgabe als geistlicher Mahner sehr ernst: Im Unternehmern „ist es außerordentlich wichtig, daß Fähigkeiten und Talente von Mitarbeitern erkannt werden und entsprechend zum Einsatz kommen. Der gute Unternehmer muß daher die Zeit finden, seine Mitarbeiter wirklich kennenzulernen. Der letzte Sinn des Wirtschaftens, dem auch der Unternehmer verpflichtet ist, kann nur die Entfaltung des Humanums sein.“  (Ebd. S. 325) Die Humanisierung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Welt war sein persönliches Ziel, und dies ist auch das Ziel christlicher Sozial- und Wirtschaftsethik. Diese Zielperspektive weitete Weber auf den europäischen und internationalen Raum aus. 
Dabei vernachlässigte er nicht seinen privaten, häuslichen Bereich. 1970 hatte er mit der Familie seiner Schwester in Münster-Gremmendorf ein eigenes Haus bezogen. Den Verwandten war er herzlich verbunden und den dort heranwachsenden drei Kindern „bester Freund und Ratgeber“. Alle, die ihn näher kannten, lobten seine Herzensgüte, seine Geselligkeit, seinen feinsinnigen Humor, der Außenstehenden so oft verborgen blieb. Er pflegte einen bescheidenen, aber familienorientierten, Geborgenheit schaffenden Lebensstil. Er lebte, was er lehrte: „Gerade die Familie ist, entgegen den Invektiven mancher Kritiker, ein Einübungsraum für echte Menschlichkeit, auch für Freiheit.“ (W. Weber: Bedrohung der Freiheit - Bedrohung des Menschen. Rheinberg 1978).
 Die Familie seiner Schwester gab ihm die Kraft, gegen alle Stürme der Zeit durchzuhalten und sich von den Herausforderungen der Hochschule und des öffentlichen Lebens zu erholen. Trotz gewisser Beschneidungen hat Weber das Institut für Christliche Sozialwissenschaften in die Zeit nach der politischen Wende hinübergerettet, als der neomarxistische Spuk an den Hochschulen sein abruptes Ende fand, und die Wissenschaft in Forschung und Lehre wieder ungestört durch drangsalierende Ideologien ihren sachgerechten Aufgaben nachgehen konnte. Für den zweiten Weber auf dem Hitze-Lehrstuhl kam es zwar nicht so bedrohlich wie für den ersten Weber, der seinen Lehrstuhl und sein Institut zwangsweise aufgeben mußte, aber doch persönlich nicht weniger gesundheitsschädigend. Die staatliche Demokratie ist zwar in den siebziger und achtziger Jahren anders als in den dreißiger Jahren nie ernstlich in Gefahr gewesen, aber manche extremen Auswüchse an den Hochschulen erinnerten den historisch bewußten Hochschullehrer an die Exzesse zu Beginn der dreißiger Jahre, „die böse historische Kontinuität der Vergewaltigung des Mitmenschen aus Gesinnung“ (E. Scheuch: Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft, 1968, S. 11), mögen die ideologischen Vorzeichen auch nicht übereingestimmt haben. Es war der vergleichbare „totalitäre Charakter“ einer Bewegung, die Wilhelm Weber herausgefordert hat und der er sich mutig, standfest und selbstlos entgegengestemmt hat.








Dienstag, 3. März 2015

Jakobusverehrung in Geschichte und heute


Jakobusverehrung in Geschichte und heute

von Manfred Hermanns

Für die Römer war der Nordwesten der spanischen Halbinsel ein abgelegener Landstrich an der Grenze ihres Reiches. Sie nannten ihn finis terrae, das Ende der Welt. Finisterre heißt heute das Kap am Atlantischen Ozean. Dorthin soll nach der Legende der Leichnam des in Jerusalem unter Herodes Agrippa I. hingerichteten Jakobus (Apg. 12,1f) per Schiff in sieben Tagen gebracht worden sein. Landeinwärts wurde er bestattet. Das Grab geriet in Vergessenheit und wurde nach der Überlieferung in der Zeit der Feldzüge der Mauren zu Beginn des 9. Jahrhunderts  wiederentdeckt. Der asturische König Alfons II. deklarierte ihn sogleich als Schutzpatron seines Reiches. Nur das nördliche Gebiet der asturischen Berge war in der Zeit der muslimischen Eroberung christlich und verstand sich als Hort der hispanischen Tradition. So hatte die Entdeckung des Apostelgrabes eine herausragende Bedeutung für das Selbstverständnis dieses spanischen Nordreiches.   

Wer war dieser Jakobus, zu dessen Grab im frühen Mittelalter 400 000 Menschen pro Jahr aufbrachen und zu dem heute wiederum jährlich weit mehr als 100 000 per Flugzeug, Auto, Eisenbahn oder auch zu Fuß, mit dem Pferd oder dem Fahrrad aufmachen?  

Jakobus begegnet uns in der Heiligen Schrift als Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes Er gehörte zu den ersten berufenen Jüngern Jesu (Mt 4,21) und mit Petrus und Johannes zu den dreien, die im Jüngerkreis eine besondere Stellung einnahmen (Mt 17.1; 26,37; Lk 8,51). Er war Fischer wie sein Vater und arbeitete mit Petrus und Andreas zusammen (Mt 4,21; Lk 5,10). Seine Mutter war wahrscheinlich Salome, die Schwester Marias, der Mutter Jesu, so dass Jakobus ein Vetter Jesu war. In den Apostellisten finden wir Jakobus stets neben Johannes, wobei der Name des Jakobus meist zuerst genannt weil, wohl weil er der Ältere war. Jesus gab den Zebedäussöhnen den Beinamen Donnersöhne, wohl um ihres Eifers wegen. Gegenüber Jakobus, dem Sohn des Alphäus, ebenfalls einem Jünger Jesu, der in der Geschichte den Beinamen der Jüngere erhält, wird der Zebedäussohn der Ältere genannt. Soweit die ursprünglichen schriftlichen Zeugnisse. Der mündlichen Überlieferung nach soll er die Botschaft Jesu in Spanien verkündet haben und dann nach Jerusalem zurückgekehrt sein, wo er den Märtyrertod fand.

Es liegt nahe, dass Christen, die das Grab des heiligen Petrus in Rom verehrten, und das Grab des heiligen Johannes in Ephesus in Kleinasien vermuteten, auch nach dem Grab des dritten besonders eng vertrauten Apostels Jakobus Ausschau hielten. In den Zeiten außergewöhnlicher Bedrängnis, als die Mauren fast die gesamte spanische Halbinsel erobert und bereits bis Südfrankreich vorgedrungen waren - das Abendland drohte muslimisch zu werden -, bedurften sie eines besonderes Beistands. Sie erhielten ihn in der Schlacht von Clavijo (844), als Jakobus den christlichen Rittern im Kampf gegen die Mauren erschien und ihnen zum Sieg verhalf. Seitdem stieg der heilige Jakob schnell zum Schutzpatron aller Kämpfer gegen die “Ungläubigen“ auf. In der Reconquista, der Rückeroberung Spaniens, nahm die Bedeutung der Jakobusverehrung und seines in Compostela aufgefundenen Grabes sprunghaft zu. Ab dem 10. Jahrhundert kamen bereits Pilger aus dem übrigen Europa. Im 12. Jahrhundert hatte Compostela den Rang der bisher großen Pilgerziele Rom und Jerusalem erreicht.

Klöster, Kapellen, Hospize und Herbergen entstanden auf dem gesamten Weg, den die Spanier “camino“ nennen oder “camino francés“, weil ihn die Franken und Franzosen von Norden aus nahmen. Pilgern ist von der eigenen Haustür aus möglich, dennoch schälten sich in Frankreich vier Wege heraus, der erste, die Via Touronensis über Paris und St. Martin in Tours, der zweite, die Via Lemovicensis über Sainte Marie-Madeleine in Vezelay in Burgund und Saint Léonard im Limousin, der dritte, die Via Podiensis über Le Puy im Zentralmassiv und der vierte, die Via Tolosana über Arles in der Provence und Toulouse. In Puente La Reina vereinigten sich die drei über Roncesvalles kommenden Wege mit dem von Arles über den Somportpass kommenden vierten Weg zu dem einen „camino“. 

Die norddeutschen Pilger werden, wenn sie nicht den Seeweg bevorzugten, vornehmlich die „Niederstraß“ über Köln - Aachen - Paris genommen haben. Die Pilgerfahrt aus Norddeutschland war im Mittelalter nicht weniger beliebt als in Süddeutschland. Davon zeugen die norddeutschen Patrozinien zu Ehren des heiligen Jakob in zahlreichen Hansestädten wie Hamburg und  Lübeck, von Archäologen gefundene Pilgermuscheln und Pilgerflaschen und Bürgertestamente, die aus Lübeck und Stralsund besonders zahlreich sind. Die Analyse der Testamente hat ergeben, dass Santiago de Compostela im 14. und frühen 15. Jahrhundert in der Spitzengruppe der Pilgerziele rangierte. Aber das Pilgern zum Jakobusgrab hat sicher im Norden auch schon Jahrhunderte früher begonnen. Hinweise darauf geben die Jakobuskirchen, von denen die meisten zwischen 1180 und 1320 geweiht wurden. Sie finden sich bis hinauf nach Skandinavien. Das Pilgern war für alle Stände attraktiv: für Priester und Laien, Kaufleute und Handwerker, Mägde und Knechte. 

Pilgerfahrten wurden als Bitt-, Sühne- und Dankwallfahrten unternommen. Außer den freiwilligen Pilgerfahrten gab es auch von kirchlichen wie von weltlichen Gerichten auferlegten Buß- und Strafwallfahrten. Zu derartigen Pilgertouren wurden auch in den norddeutschen Hansestädten Delinquenten verurteilt. Religiöse Motive für die Pilgerfahrt verbanden sich oft mit wirtschaftlichen und kulturellen Interessen. Hansische Kaufleute trugen entschieden zur Verbreitung des Jakobuskultes bei. Viele verbanden ihre Handelsfahrten mit Pilgerreisen oder sie gingen mit Pilgern eine Symbiose ein. Pilger fuhren als Beifahrer auf den Koggen der Kaufleute, die Getreide, Bier, Heringe und Leinen in die blühenden Städte Brügge, Antwerpen, Bordeaux und Lissabon exportierten und von dort Wein, Gewürze, flandrische Tuche heimführten. Religion und Wirtschaft lassen sich im Mittelalter nicht immer eindeutig trennen. 

Historiker nehmen bisher an, dass bis ins 13. und 14. Jahrhundert der Landweg als der sichere bevorzugt wurde. Erst infolge der hansestädtischen Militärbündnisse seien die Seefahrten risikoärmer geworden und seien dann oft als die schnelleren bevorzugt worden. Es gab auch kombinierte Land- und Seefahrten, auf der die Pilger bis Rouen (Normandie) und Bordeaux (Guyenne) den Landweg nahmen und von dort mit dem Schiff weiterreisten.              

Während Renaissance und Reformation trat ein Wandel der Frömmigkeit ein. Nach mittelalterlichem Denken war Pilgern und Beten mit guten Werken verbunden. Aus diesem Grund erfolgten die zahlreichen Stiftungen. Es gab stellvertretendes Beten und Pilgern. Pilger gingen für andere gegen Bezahlung auf Pilgerschaft. Gegen diese Form des Pilgerns und der Heiligenverehrung wandten sich die Humanisten. Luther stand mit seiner Kritik nicht allein. So kam es, dass mit der Durchsetzung der Reformation in Norddeutschland die Jakobusverehrung fast völlig verschwand. Gnadenorte als objektivierte und lokalisierte Zeichen des Glaubens wurden aus dem Bewusstsein verdrängt. Klöster als Orte stellvertretenden Betens erschienen nutzlos. Nach reformatorischem Verständnis musste jeder selber fromm sein und er bedurfte keiner sichtbaren Zeichen für seinen Glauben. Glaube wird seitdem als individueller Akt verstanden und gelebt.

Die berechtigten Anliegen der Reformatoren haben sich durchgesetzt. So sind heute die Gründe und Gegengründe der Reformationszeit im allgemeinen öffentlichen Bewusstsein vergessen. Das eröffnet eine neue Chance des Pilgerns, nicht allein für katholische, sondern auch für evangelische Christen des Nordens. Pilgern ist kein Widerspruch mehr zum individuellen Vollzug des Glaubens und Betens. So wird das Pilgern zu einem individuellen Erlebnis. Viele sehen es auch nicht als notwendig an, den gesamten Weg nach Santiago de Compostela zu gehen. Auch auf Teilstrecken kann man zu sich selbst ifinden und dabei Erfahrungen machen, die über das eigene Selbst hinausweisen, dieses Selbst überschreiten, transzendieren. Transzendenz ist die Erfahrung, dass es etwas gibt, das mehr ist als das eigene Selbst.  

Und selbst wenn der eine oder andere Pilger sich dann aufmacht, bis zum Grab des Heiligen Jakobus in Compostela, so bedeutet dies für einen modernen Menschen doch weithin etwas anderes als für den mittelalterlichen Menschen. Seine Mühen und Strapazen fasst er nicht als gutes Werk, sondern als ein zeitweiliges Ausbrechen aus dem lähmenden Einerlei des Alltags, aus dem starren Gitter gesellschaftlicher Gepflogenheiten und Konventionen. Es wird für ihn unwichtig, ob er in Santiago tatsächlich das Grab des Heiligen antrifft. Aber er kann sich berühren lassen von das Faszinosum, das von dieser Kathedrale über dem vermeintlichen Grab ausgeht. Er erfährt sich zusammen mit Tausenden anderer individueller Pilger auf der Pilgerschaft seines Lebens. In dieser Weise erlebt er etwas von der Kraft des Heiligen, des Geheimnisvollen, das von diesem Ort einer mehr als tausendjährigen Jakobusverehrung ausgeht. 

Weltweiter Dienst am Menschen unterwegs


Rezension zu "Sozialethik im Wandel der Zeit"


Antworten auf die Zeichen der Zeit

Manfred Hermanns lesenswerte Darstellung der Geschichte des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre in Münster
DT vom 19.07.2007 

Von Klaus Klother

Mit der Veröffentlichung der Sozialenzyklika „Rerum novarum“ durch Papst Leo XIII. im Jahr 1891 widmete sich erstmals ein universalkirchliches Dokument eines in der damaligen Zeit hochbrisanten sozialen Themas – der Arbeiter-frage. Die Enzyklika gilt als Meilenstein auf dem Weg zu einer katholischen Soziallehre. Dieser umfassende Prozess vollzog sich auf drei miteinander verbundenen Wegen: Erstens wurde durch „Rerum novarum“ der Grundstein zur kirchlichen Sozialverkündigung gelegt. Zweitens organisierte sich (schon Jahre vor dem Erscheinen der Enzyklika) die Basis des „politischen Katholizismus“ in Verbänden, Vereinen und Bewegungen. Drittens befasste man sich wissenschaftlich-reflexiv mit den Theorien zu einer christlichen Gesellschaftslehre. Ausdruck und gleichzeitig Ergebnis dieser wissenschaftlich-reflexiven Theoriebildung ist der Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre in Münster.

Ein lang vermisstes Forschungsdesiderat

Durch seine Arbeit „Sozialethik im Wandel der Zeit. Geschichte des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre in Münster 1893–1997“ erfüllt Autor Manfred Hermanns ein „lange vermisstes Forschungsdesiderat“, nämlich eine umfassende und detaillierte Darstellung der Geschichte des Lehrstuhls sowie des daran angeschlossenen 1951 gegründeten Instituts für Christliche Sozialwissenschaften. In chronologisch geordneter Aufreihung wird in diesem Werk die wechselseitige Bedeutung von Zeit-, Kirchen- und Theologie-geschichte verdeutlicht. Die Geschichte des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre in Münster, wie sie von Hermanns skizziert wird, spiegelt somit auch den dreisträngigen Entwicklungsprozess katholischer Soziallehre wider.

Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf das soziale Umfeld der Lehrstuhl-inhaber gelegt, was neben den jeweils ausreichend erläuterten systematischen Ansätzen für sehr anschauliche Bilder von Franz Hitze, Heinrich Weber, Joseph Höffner, Wilhelm Weber und Franz Furger sorgt. So schienen beispielsweise der persönliche und berufliche Werdegang von Franz Hitze durch seine Herkunft aus dem katholisch-bodenständigen Sauerland, seiner Mitgliedschaft in der Würzburger Unitas, der engen Verbindung zum katholischen Milieu und der früh entdeckten Begeisterung für die Arbeiten des sozialen Bischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteler nicht unbeeinflusst gewesen zu sein. Der junge Kaplan Heinrich Weber wurde zum Diözesansekretär des neu gegründeten Caritasverbandes des Bistums Münster ernannt und konnte somit einerseits früh Kontakte knüpfen und andererseits die hier gewonnenen Erfahrungen in seinen parallel laufenden Studien und schließlich in seine volkswirtschaftliche Dissertation über „Das Lebensrecht der Wohlfahrtspflege“ mit einfließen lassen.

Manfred Hermanns, der selbst ein Schüler von Joseph Höffner ist, ergänzt die durch Archivarbeit gewonnenen und in den Kontext der Sozial-, Kirchen- und Wissenschaftsgeschichte eingegliederten Fakten durch die biographische Darstellung jener fünf Persönlichkeiten, die den Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre in Münster wie auch die Entwicklung der katholischen Soziallehre in Deutschland entscheidend beeinflusst haben. Die verschiedenen Problemfelder in der Geschichte der christlichen Gesellschaftslehre und Sozialethik spiegeln sich in den Amtszeiten der jeweiligen Lehrstuhlinhaber ebenso wider wie die darauf reagierenden Antworten und Lösungsvorschläge: Die sozialen und gesellschafts-politischen Probleme der Kaiserzeit (Franz Hitze), der Weimarer Republik sowie der nationalsozialistischen Gewalt-herrschaft in Deutschland (Heinrich Weber), die Fragen und Probleme des rehabilitierten Deutschlands in der Ära Adenauer (Joseph Höffner), die bewegenden Jahre des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie die Auseinander-setzung mit der Befreiungstheologie (Wilhelm Weber) und der Zeit des Postkommunismus (Franz Furger), in der Furger die Christliche Gesellschafts-lehre zu einer „Moraltheologie der gesellschaftlichen Belange“ zu reformieren versuchte und sich dabei neuen Themen und Herausforderungen wie Umwelt-, Medizin- oder Bioethik stellte.

Gemeinsamer Nenner von fünf Professoren

Bei allen Diskontinuitäten in der Geschichte des Lehrstuhls, die sich unter anderem in den unterschiedlichen Bekanntheitsgraden der jeweiligen Lehrstuhlinhaber zu ihrer Zeit ausdrücken, fällt doch im Rückblick die Kontinuität ins Auge. Im Wandel der Zeit wurde „aus dem Geist der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Liebe“ auf die Fragen von Kirche und Gesellschaft, und damit letztlich auf die Fragen des Menschen eingegangen. Manfred Hermanns bringt die Gemeinsamkeit der fünf Professoren auf den Punkt: „Ihre Interpretation von Recht und Politik erfolgte aus den moralischen Imperativen des biblischen Glaubens.“

Mit diesem Geschichtswerk über den Lehrstuhl für Christliche Gesellschafts-lehre in Münster wollte der Autor auch ein „Handbuch zur Geschichte der Christliche Sozialwissenschaft“ vorlegen. Das ist ihm gelungen. Die vom Münsteraner Lehrstuhl, der lange Zeit der einzige deutschsprachige Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre war, geleistete Sozialwissenschaft bedeutete „Erforschung der jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit und sozialethische Orientierung zur Beurteilung der sich wandelnden zeitbedingten sozialen Tatsachen“. Was schon seinen Vorgängern vor Augen schwebte, vermochte Joseph Höffner in seinem Verständnis von christlicher Gesellschaftslehre zu systematisieren: die integrierende Verknüpfung von seinswissenschaftlichen Disziplinen wie der Soziologie mit Sozialmetaphysik und normativen Disziplinen. So vermag die Christliche Gesellschaftslehre seit ihren Anfängen pauschalisierte Gegenüberstellungen wie zum Beispiel „Wirtschaft versus Caritas“ zu vermeiden.

Die am Lehrstuhl sowie dem zugehörigen Institut Lehrenden haben nach Ansicht von Bischof Reinhard Lettmann einen „wesentlichen Beitrag für die Entwicklung des Zusammenlebens in Staat und Gesellschaft in unserem Land auf der Grundlage eines christlichen Menschenbildes“ geleistet. Die zahlreichen – gerade auch innertheologischen – Kritiker der Christlichen Gesellschaftslehre als eigener theologischer Disziplin sollten sich einmal die praktischen gesellschaftlichen, politischen und sozialen Erfolge christlich-sozialethischer Reflexion anschauen, um zu erkennen, welche Möglichkeiten und Pflichten Kirche und Theologie haben, auf die Zeichen der Zeit zu reagieren. Die bisherige Erfolgsgeschichte der Christlichen Gesellschaftslehre – am Beispiel und Vorbild des Lehrstuhls in Münster – aufgezeigt zu haben, ist der bemerkenswerte Verdienst von Manfred Hermanns.

Manfred Hermanns: Sozialethik im Wandel der Zeit. Persönlichkeiten – Forschungen – Wirkungen des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre und des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster 1893–1997 (Abhandlungen zur Sozialethik, Band 49). Ferdinand Schöningh, Paderborn-München-Wien-Zürich 2006, 541 Seiten, 13 s/w Abbildungen, kart.

Strukturreform der Kirche und Glaubensreform


Strukturreform und Glaubensreform


Sehr viele Argumente pro und contra Theologen-Memorandum sind bereits ausgetauscht worden. An der lebhaften Diskussion haben sich Pastoraltheologen, Dogmatiker, Religionspädagogen und andere beteiligt, oft mit ernst zu nehmenden Argumenten, mitunter aber auch mit solcher ideologischen Schärfe, dass man um die Glaubenseinheit und folglich auch um die Systemeinheit der katholischen Kirche fürchten muss.

Es fehlen bisher in der Diskussion Gesichtspunkte der Christlichen Sozialwissenschaften und auch der Organisationssoziologie. Während der Diskussion um die Soziale Frage im 19. Jahrhundert und auch in der Zeit des sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg haben gerade Christliche Sozialwissenschaftler wie Franz Hitze, Joseph Höffner, Johannes Messner, Oswald von Nell-Breuning den Entwürfen einer umfassenden Gesellschafts- und Wirtschaftsveränderung, die vorwiegend aus sozialistisch-kollektivistischer Richtung erfolgten, die Notwendigkeit von ineinander greifender Struktur- und Gesinnungsreform gegenübergestellt. Beides ist für eine Gesellschaftsreform erforderlich, nicht das eine gegen das andere auszuspielen. Die ethische Verantwortung und das sittliche Denken sind zu erneuern und aus diesem veränderten Denken die notwendigen gemeinschaftsfördernden Reformen in der Gestaltung der Gesellschaftsordnung anzugehen. Johannes Messner schrieb: „Es ist eine alte Erfahrungstatsache, dass auch die besten Institutionen versagen, wenn einer Gesellschaft der entsprechende Geist mangelt“, es gäbe aber auch keinen Beweis dafür, „dass eine Gesinnungsreform allein reicht“.

Nun sind Gesellschaft und Kirche nicht identisch, Kirche ist eine eigenständige soziale Größe, dennoch gibt es Vergleichbares. In der Kirche ist Gesinnungsreform noch um Glaubensreform zu ergänzen. Glaubenserneuerung in der Kirche ist im Laufe der Geschichte immer wieder zu realisieren. Glaubens- und Gesinnungsreform schließen aber Strukturreformen nicht aus, sondern greifen ineinander.

Organisationssoziologisch ist zu fragen, ob beide Reformen gleichzeitig erfolgen können und müssen, oder ob die eine Dimension der Reform der anderen vorausgehen kann.  Welche organisatorischen Bedingungen müssen vorhanden sein, damit eine Strukturreform wirklich gelingt und nicht zu Fehlschlägen und neuen Enttäuschungen führt? Hat eine glaubensmäßig und sozial geschwächte Kirche wirklich die Kraft zu einer erfolgreichen Strukturreform oder bringt sie nur neue Enttäuschungen und Wirrnisse? Vor 40 Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Vaticanum waren die Zeitumstände für eine Strukturreform günstiger als heute. Es gab den Schwung und die Euphorie des Zweiten Vaticanums. Das Glaubensfundament in Gesellschaft und Kirche war gefestigter als heute. Eine tiefergreifende Strukturreform ist damals verpasst worden, so sehr, dass der Begriff Strukturreform inzwischen bei einem Teil der Kirchenmitglieder in Misskredit geraten ist.

Es besteht ein Zusammenhang zwischen Zielen, Strukturen und den Handlungsmustern der leitenden und teilnehmenden Personen. Strukturen und Handlungen müssen zielorientiert sein. Diese Ziele sind klar und unmissverständlich zu benennen. Sind sich Bischöfe und Theologen einig über die zu realisierenden Ziele? Dogmatiker mögen sagen, die Ziele für die Kirche sind von Christus vorgegeben. Aber auch dann müssen sie im Bewusstsein der entscheidenden Personen präsent sein, wenn die Ziele zum gemeinsamen Handeln und nicht zu einem Gegeneinanderhandeln führen sollen. Die Zielprioritäten müssen klar sein, wenn eine Strukturreform gelingen soll. Wenn Zielentscheidungen in den Entscheidungsgremien gefallen sind, dann müssen sie übereinstimmend auch durchgesetzt werden. Die Glaubwürdigkeit der Kirche steht andernfalls auf dem Spiel. Auch Kirche als Organisation kann nicht mit unterschiedlichen Stimmen sprechen, erst recht nicht divergierend handeln. 

Theologen, die oft allein von Idealen ausgehen, sind sich bei ihren mehr oder weniger berechtigten Wünschen nach Strukturreformen, oft nicht im klaren über die Schwierigkeiten von Entscheidungsprozessen und den Ziel-Handlungszusammenhang. Nicht immer sind die hehren Ziele die besten, sondern die realisierbaren. Bei angestrebten Strukturreformen ist das Potential, das Glaubenspotential, aber auch das Fähigkeitspotential der Mitglieder, vor allem der auf den Ebenen von Bistum und Gemeinde verantwortlich Handelnden zu berücksichtigen.

Diese Stellungnahme aus der Perspektive der Sozialwissenschaften incl. der Christlichen Sozialwissenschaften ist kein Plädoyer gegen Strukturreform, sondern für die Konvergenz von Struktur-, Gesinnungs- und Glaubensreform und für sachliche Überlegungen, wie diese Reformen optimal zu erreichen sind.


Prof. Dr. Manfred Hermanns
21244 Buchholz in der Nordheide

Probleme unserer alternden Gesellschaft und die Konsequenzen für eine bevölkerungsbewusste Familienpolitik

Probleme unserer alternden Gesellschaft und die Konsequenzen für eine bevölkerungsbewusste Familienpolitik


Deutschland,Niedersachsen,PolitikProbleme unserer alternden Gesellschaft und die Konsequenzen für eine bevölkerungsbewusste Familienpolitik


Der Anteil der alten Menschen in unserer Gesellschaft nimmt stetig zu, und noch gravierender, der Anteil der jüngeren weiter ab. Seit 1972 sterben in Deutschland jährlich mehr Menschen als geboren werden. Zu einem tatsächlichen Rückgang der Bevölkerung ist es erstmals 2003 gekommen. Die vorangegangenen Verluste sind durch Wanderungsgewinne kompensiert worden. Der Wanderungssaldo schwankt sehr stark, 2008 wurde zum ersten Mal ein negativer Wanderungssaldo ausgewiesen.

2030 werden auf 100 Erwerbspersonen – nach heutigem Rentenrecht - 70 Rentner kommen, heute sind es 49. Der demographische Wandel stellt die Sozialpolitik vor starke Herausforderungen, besonders in der Rentenversicherung, aber auch in der Krankenversicherung. Der prozentual kräftig ansteigende Altenanteil in der Bevölkerung wird unvermeidlich in Zukunft zu einer deutlichen Minderung der Leistungen der Rentenversicherung führen.

Die Generation der jetzt etwa Fünfzigjährigen ist für die zu erwartenden Finanzierungsschwierigkeiten des Rentensystems verantwortlich. Sie hat den schon in den 1960er Jahren von Wilfrid Schreiber, Professor für Sozialpolitik, geforderten Generationenvertrag nicht eingehalten, weil sie zu wenig Kinder geboren hat. Es ist konsequent, dass sie mit Rentenkürzungen und einem späteren Renteneintrittsalter zu rechnen hat. Generationenvertrag meint keinen Vertrag im juristischen Sinne, sondern die zwischen den Generationen geforderte Solidarität. Die erwerbstätige Generation gibt einen Teil der von ihr erwirtschafteten Güter an die vorausgegangene Generation, einen anderen Teil an die nachwachsende Generation. Die produktive Generation kann normalerweise darauf vertrauen, dass die nachwachsende Generation in ihrer produktiven Phase den Lebensunterhalt der ehemals produktiven Generation sichert. Die „intergenerationelle Solidarität“ erfordert, diese Sicherheit im Alter auch durch die für das Sozialsystem notwendige Kinderzahl zu gewährleisten.

Politisch denkbar wären auch Beitragssteigerungen der produktiven Generation zur Rentenversicherung, aber diese dürfen nicht allzu kräftig ausfallen, denn die erhöhten Beiträge würden nicht allein den Wettbewerb der Wirtschaft, sondern auch die geschrumpfte mittlere Generation über Gebühr belasten, weil diese auch für die größere Altengeneration wie die nachfolgende Generation aufzukommen hat. Sie hätte dann allein den Anstieg des Unterstützungsquotienten zu tragen, und das bei voraussichtlich verlangsamter Erneuerungsgeschwindigkeit der Produktion und damit einhergehendem abnehmenden Wirtschaftswachstum infolge des Bevölkerungsrückgangs. Auch eine höhere Steuerfinanzierung der Rentenversicherung würde vor allem die „Scharnier-Generation“ treffen. Eine Überbelastung bestimmter gesellschaftlicher Generationen könnten zur Entsolidarisierung zwischen den Generationen führen und die Skepsis gegenüber dem Generationenvertrag mehren.
Auch die Krankenversicherung wird durch den Altersaufbau der Gesellschaft belastet. Denn mit dem demographischen Wandel steigt der Bedarf an Gesundheitsleistungen, obwohl die 60-Jährigen von heute gesunder sind als die 60-Jährigen von gestern. Um die Krankenversicherung funktionsfähig zu halten, sehen die Reformentwürfe mehr Eigenbeteiligung und Zuzahlungen vor. Die Krankenversicherung wird zusätzlich durch die Kosteneffekte des medizintechnischen Fortschritts belastet. 

Es widerspricht der Verteilungsgerechtigkeit, wenn die entstehenden Lasten fast ausschließlich von den Familien mit Kindern getragen wird. Hier ist eine energische Wende in der Familienpolitik gefordert, wie sie das Bundesverfassungsgericht seit Jahren einfordert. Die Kinderzahl muss bei der Rentenberechnung stärker zu Buche schlagen und sollte auch bei der Beitragsbemessung angemessen berücksichtigt werden. Der Familienwissenschaftler Max Wingen hat darauf hingewiesen, dass u.a. das bestehende Rentenrecht eine „deutliche Prämierung von Kinderlosigkeit bedeutet“ und Anreize zum Verzicht auf Nachkommenschaft gibt. Heute haben Personen ohne Kinder oft bessere berufliche Aufstiegschancen als Personen mit Kindern und erhalten dann auch noch im Alter die höheren Renten. Dagegen werden die Familien, die die sozialen, erzieherischen und wirtschaftlichen Leistungen für die nachfolgende Generation erbringen, im Alter noch mit geringeren Renten quasi „bestraft“. Das bisherige Altersversorgungssystem ist pointiert als „Transferausbeutung“ bezeichnet worden.

Bei demographischen Prozessen handelt es sich um langfristige Problemlagen. Um sie tatkräftig anzugehen, muss Politik mehr als je zuvor vom Leitprinzip der Nachhaltigkeit bestimmt werden. Im gemeinsamen Wort des Rates der evangelischen Kirche und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland hieß es: „Die Solidarität bezieht sich nicht nur auf die gegenwärtige Generation, sie schließt die Verantwortung für die kommenden Generationen ein. Die gegenwärtige Generation darf nicht auf Kosten der Kinder und Kindeskinder wirtschaften.“

Das Prinzip der Nachhaltigkeit muss bei demographischen Prozessen Berücksichtigung finden, da diese sich langfristig vollziehen. Selbst wenn heute unerwartet die Geburtenziffern wieder steigen, ist mit einer Bevölkerungsabnahme in Deutschland zu rechnen. Nach dem Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg ist es „dreißig Jahre nach 12“. Der Anteil der über 60jährigen an der deutschen Bevölkerung würde sich selbst dann verdoppeln, wenn die Lebenserwartung nicht mehr zunähme. Diese Erkenntnis scheint unsere auf kurzfristige Wiederwahl setzenden Politiker zu überfordern. Verhängnisvoll ist aber das Kurzfristdenken der politisch Verantwortlichen.

Wir erleben ein merkwürdiges Paradoxon: bei demoskopischen Erhebungen sagen 76 % voraus, dass die Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren schrumpfen wird und 84 % gehen davon aus, dass das Durchschnittsalter der Deutschen weiter steigen wird, trotzdem lehnt eine Mehrheit eine längere Lebensarbeitszeit ab. Es zeigt sich hier eine unbewältigte Diskrepanz zwischen individuellen Interessen und Gemeinwohlorientierung. Ein solch inkonsequentes Denken lähmt die Politiker in Bezug auf langfristig wirksame Korrekturen und verleitet sie, dringend benötigte Entscheidungen zu vertagen. 

Dabei geht es nicht um einseitige und in Deutschland durch die nationalsozialistische Vergangenheit diskreditierte Bevölkerungspolitik. Es kann in einer Demokratie nicht bezüglich der Fertilität an Zwangsregulierungen durch den Staat gedacht werden. Aber der Staat kann sehr viel unternehmen, um den jungen Menschen ihren Wunsch nach Kindern zu ermöglichen. Der Kinderwunsch ist, wie Umfragen beweisen, deutlich höher als die reale Geburtenzahl. Eine „bevölkerungsbewusste Familienpolitik“ als integrativer Bestandteil einer gesellschaftlichen Ordnungspolitik setzt an den Bedürfnissen der jungen Paare in der Phase des Familienaufbaus an und gestaltet die Rahmenbedingungen so, dass junge Paare sich ihre Kinderwünsche erfüllen können und in der Folge die persönlichen Lebensziele einerseits und die gesellschaftlichen Belange mit ihrer Gemeinwohlrelevanz andererseits möglichst eng zusammenfallen. Sie schafft ein familien- und kinderfreundliches Klima und fördert die sozialen, humanen, erzieherischen Leistungen der Familien. (Max Wingen: Die Geburtenkrise ist überwindbar: Wider die Anreize zum Verzicht auf Nachkommenschaft. 2004, insbesondere S. 90-94).

Es ist ein Leistungsausgleich und nicht nur ein unzureichender Familienlastenausgleich zu schaffen. Eine solche Familienpolitik ist nicht allein Aufgabe eines einzigen Politikbereiches, sondern eine Querschnittsaufgabe für weite Bereiche der Gesellschaftspolitik. Die Querschnittspolitik betrifft nicht allein den Staat, sondern bezieht auch die Kommunen wie die unternehmerische Familienpolitik im Sinne familienbewusster Personalpolitik ein. Unternehmer müssen in ihrer betrieblichen Zeiteinteilung mehr Rücksicht auf Familien nehmen.

Bewusstseins- und Verhaltensänderungen sind eine wichtige Voraussetzung für die Durchsetzung einer Sozialordnungspolitik, um eine familien- und kindgerechte Gestaltung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen von Familien zu schaffen. 

Je später die Korrektur in der Familienpolitik erfolgt, um so schwerer wird sie durchzusetzen sein. Politik hat gegen ein erhebliches Trägheitsmoment anzukämpfen, das um so beharrlicher ist, je älter die Bevölkerung wird. Mit dem Kleinerwerden der nachwachsenden Generationen verringert sich das Innovationspotential. Und wir haben das Problem einer älter werdenden Wahlbevölkerung. Alte Menschen werden immer mehr wahlentscheidend. Wenn diese bei ihren Wahlentscheidungen vorwiegend an die eigene Einkommenslage denken, wird dies zu Lasten der jüngeren und auch der noch ungeborenen Generationen gehen. Dann könnten wir aber mit dem „Aufstand der Jungen“ rechnen, wie vor kurzem ein jüngerer Sozialwissenschaftler befürchtete. Jahre zuvor schrieb Max Wingen von dem nicht leicht auflösbaren Widerspruch zwischen zwei Sachverhalten: zum einen zwischen dem angesichts der demographischen Herausforderung notwendigen Langfristdenken und zum anderen den unleugbaren Interessenzwängen, die im Bestreben der auf Machterhalt bestrebten politisch Handelnden gründen. 

Dauerhafte Lösungen des Sozialversicherungssystems erfordern langfristige Konzeptentwürfeund Strategien, die nicht in einer Wahlperiode zu lösen sind. Sie erfordern eine Politik der Nachhaltigkeit und nicht der auf kurzfristigen Effekt ausgerichteten politischen Entscheidungen. Es geht um ordnungspolitische Entwürfe. Eine Politik der Nachhaltigkeit verlangt klare Wertorientierungen, die mit längerfristiger Überzeugungsarbeit zu vermitteln sind. Demographische Entwicklungen haben so schwerwiegende sozial- und wirtschaftspolitische Folgen, die kaum reversibel sind, dass man sie nicht einer automatischen Eigendynamik überlassen kann. Politik ist Gesellschaftsgestaltung aus einer Sinnvorstellung, für Christen aus dem Glauben. Die Geburtenentwicklung einfach laufen zu lassen, wäre Verzicht auf Politik. Der „Club of Rome“ hat vor drei Jahrzehnten begonnen auf Probleme des Umweltschutzes und des Klimawandels aufmerksam zu machen. Er wurde zunächst kritisiert, verlacht, als weltfremd verspottet. Inzwischen hat er vieles in Gang gebracht und erreicht. Eine „bevölkerungsbewusste Familienpolitik“ ist ebenfalls eine Langfristaufgabe des „Bohrens von dicken Brettern“ - aber nicht hoffnungslos, sie muss nur mit Konsequenz gewagt werden.